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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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wenigen Cybrids für Spezialzwecke.
    Ich sah Johnny an. Aus der Sicht einer KI waren der wunderschöne Körper und die faszinierende Persönlichkeit, die mir gegenüber am Schreibtisch saßen, lediglich ein weiterer Auswuchs, etwas Ferngesteuertes, komplexer, aber deshalb nicht wichtiger als jeder beliebige der zehntausend Sensoren, Manipulatoren, autonomen Einheiten oder Ferngesteuerten, die eine KI bei der täglichen Arbeit einsetzen kann. »Johnny« zu entsorgen war für eine KI wahrscheinlich ebenso nebensächlich, als würde ich mir einen Fingernagel schneiden.
    Was für eine Verschwendung, dachte ich.
    »Ein Cybrid«, sagte ich.
    »Ja. Mit Lizenz. Ich habe ein Benutzervisum für das Netz.«
    »Gut«, hörte ich mich sagen. »Und jemand … hat Ihren Cybrid ermordet, und ich soll herausfinden, wer das war?«
    »Nein«, sagte der junge Mann. Er hatte rotbraune Locken. Die Frisur konnte ich ebenso wenig zuordnen wie den Akzent. Sie wirkte irgendwie archaisch, aber ich hatte sie irgendwo schon mal gesehen. »Nicht nur dieser Körper wurde ermordet. Der Attentäter hat mich getötet.«
    »Sie?«
    »Ja.«

    »Sie wie die … ah … KI selbst?«
    »Präzise.«
    Das begriff ich nicht. KIs können nicht sterben, wie jeder im Netz wusste. »Das begreife ich nicht«, sagte ich.
    Johnny nickte. »Anders als eine menschliche Persönlichkeit, die – so lautet, glaube ich, der Konsens – mit dem Tod vernichtet werden kann, kann mein Bewusstsein nicht ausgelöscht werden. Aber als Folge der Tat kam es zu einer … Unterbrechung. Ich besaß … sagen wir Duplikataufzeichnungen von Erinnerungen, Persönlichkeit et cetera, aber es kam zu einem Verlust. Einige Daten wurden bei dem Angriff vernichtet. In diesem Sinne hat der Attentäter einen Mord begangen.«
    »Ich verstehe«, log ich. Ich holte Luft. »Was ist mit den KI-Behörden – wenn es so etwas gibt – oder den Cybercops der Hegemonie? Müssten Sie sich nicht an die wenden?«
    »Aus persönlichen Gründen«, sagte der attraktive junge Mann, den ich mich bemühte als Cybrid zu betrachten, »ist es wichtig – sogar notwendig –, dass ich diese Institutionen nicht konsultiere.«
    Ich zog die Brauen hoch. Das hörte sich schon mehr nach meinen üblichen Klienten an.
    »Ich versichere Ihnen«, sagte er, »es handelt sich um nichts Illegales. Oder Unethisches. Es ist lediglich … peinlich für mich auf einer Ebene, die ich Ihnen nicht erklären kann.«
    Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Hören Sie, Johnny. Das ist eine ziemlich weit hergeholte Geschichte. Ich meine, ich habe nur Ihr Wort, dass Sie ein Cybrid sind. Es könnte doch sein, dass Sie ein Trickbetrüger sind.«
    Er sah mich überrascht an. »Daran habe ich nicht gedacht. Wie soll ich Ihnen beweisen, dass ich bin, wofür ich mich ausgebe?«
    Ich zögerte nicht einen Augenblick. »Übertragen Sie eine Million Mark auf mein Konto bei TransNetz«, sagte ich.

    Johnny lächelte. Im selben Augenblick läutete mein Telefon und das Bild eines geschäftigen Mannes mit dem Codeblock von TransNetz im Hintergrund sagte: »Entschuldigen Sie, M. Lamia, aber ich habe mich gefragt, ob Sie mit einem … äh … Guthaben dieser Größe daran interessiert wären, in unsere langfristigen Wertpapiere zu investieren oder sich in todsichere Märkte einzukaufen? Ich könnte Ihnen da …«
    »Später«, sagte ich.
    Der Bankdirektor nickte und verschwand.
    »Das hätte eine Simulation sein können«, sagte ich.
    Johnny lächelte freundlich. »Ja, aber selbst das wäre eine zufriedenstellende Demonstration, oder nicht?«
    »Nicht unbedingt.«
    Er zuckte mit den Achseln. »Angenommen, ich bin, was ich behaupte, würden Sie den Fall dann übernehmen?«
    »Ja.« Ich seufzte. »Eins noch. Mein Honorar beträgt nicht eine Million Mark. Ich bekomme fünfhundert pro Tag. Plus Spesen.«
    Der Cybrid nickte. »Heißt das, Sie übernehmen den Fall?«
    Ich erhob mich, setzte meinen Hut auf und nahm einen alten Mantel von der Stange neben dem Fenster. Dann beugte ich mich über die unterste Schreibtischschublade und ließ die Pistole meines Vaters in eine Manteltasche gleiten. »Gehen wir«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Johnny. »Wohin?«
    »Ich möchte sehen, wo Sie ermordet worden sind.«
     
    Vorurteile besagen, dass jemand, der auf Lusus geboren wurde, den Stock nur ungern verlässt und sofort an Agoraphobie leidet, wenn er etwas besucht, das offener und weiträumiger als ein Einkaufszentrum ist. In Wahrheit führt mich mein

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