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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Ermordung.
    Ich traf mich mit ihm zum Essen in dem kleinen Restaurant in der Red Dragon Street in der Nähe des Portals von Tsingtao-Hsishuang Panna. Das Essen war sehr scharf, kräftig gewürzt und ausgezeichnet.
    »Wie läuft es?«, fragte er. »Prima. Ich bin tausend Mark reicher als bei unserer ersten Begegnung und habe ein gutes kantonesisches Restaurant gefunden.«
    »Freut mich wirklich, dass mein Geld einem guten Zweck dient.«
    »Da wir gerade von Ihrem Geld sprechen – woher kommt es? Es kann nicht besonders einträglich sein, in einer Bibliothek auf Renaissance Vector herumzuhängen.«
    Johnny zog eine Braue hoch. »Ich lebe von einer kleinen … Erbschaft.«
    »Ich hoffe, nicht zu klein. Ich würde gern bezahlt werden.«

    »Für Ihre Zwecke wird es ausreichend sein, M. Lamia. Haben Sie schon etwas Interessantes herausgefunden?«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Sagen Sie mir, was Sie in der Bibliothek machen.«
    »Kann es möglicherweise von Bedeutung sein?«
    »Ja, könnte sein.«
    Er sah mich seltsam an. In seinen Augen war etwas, das mir die Knie weich machte. »Sie erinnern mich an jemand«, sagte er leise.
    »Oh?« Von jedem anderen wäre diese Bemerkung Grund zum Aussteigen gewesen. »An wen?«, fragte ich.
    »Eine … Frau, die ich einmal gekannt habe. Vor langer Zeit.« Er strich sich mit den Fingern über die Stirn, als überkomme ihn plötzlich Müdigkeit oder ein Schwindelgefühl.
    »Wie hieß sie?«
    »Fanny.« Das Wort war fast geflüstert.
    Ich wusste, vom wem er sprach. John Keats hatte eine Verlobte namens Fanny gehabt. Ihre Liebesbeziehung war eine Kette romantischer Frustrationen gewesen, die den Dichter fast in den Wahnsinn getrieben hatte. Als er in Italien im Sterben lag, allein, abgesehen von einem Mitreisenden, und sich von seinen Freunden und seiner Liebsten im Stich gelassen fühlte, hatte Keats darum gebeten, dass ungeöffnete Briefe von Fanny und eine Locke von ihrem Haar mit ihm begraben werden sollten.
    Vor dieser Woche hatte ich noch nie von John Keats gehört gehabt; ich hatte diese ganze Scheiße mit meinem Komlog aufgerufen. Ich sagte: »Also, was machen Sie in der Bibliothek?«
    Der Cybrid räusperte sich. »Ich recherchiere ein Gedicht. Suche nach Fragmenten des Originals.«
    »Etwas von Keats?«
    »Ja.«

    »Wäre es nicht einfacher, es via Datei abzurufen?«
    »Gewiss. Aber es ist wichtig für mich, dass ich das Original sehe … dass ich es berühre …«
    Ich dachte darüber nach. »Wovon handelt das Gedicht?«
    Er lächelte – jedenfalls seine Lippen. Die Mandelaugen wirkten immer noch besorgt. »Es heißt Hyperion. Schwer zu beschreiben, wovon es – handelt. Künstlerisches Scheitern, nehme ich an. Keats hat es nie vollendet.«
    Ich schob den Teller weg und trank warmen Tee. »Sie sagen, Keats hat es nie vollendet. Meinen Sie nicht, Sie haben es nie vollendet?«
    Sein schockierter Ausdruck musste echt sein – es sei denn, KIs waren meisterhafte Schauspieler. Soviel ich wusste, konnten sie das sein. »Großer Gott«, sagte er, »ich bin nicht John Keats. Eine Persönlichkeit zu besitzen, die auf einer rekonstruierten Schablone beruht, macht mich ebenso wenig zu Keats, wie der Name Lamia Sie zu einem Monster macht. Es gibt eine Million Einflüsse, die mich von diesem armen, traurigen Genie trennen.«
    »Sie haben gesagt, dass ich Sie an Fanny erinnere.«
    »Das Echo eines Traums. Weniger. Haben Sie RNS-Lernmedizin genommen?«
    »Ja?«
    »So ungefähr ist es. Erinnerungen, die … hohl wirken.« Ein menschlicher Kellner brachte Glückskekse.
    »Haben Sie Interesse daran, das echte Hyperion zu besuchen?« , fragte ich.
    »Was ist das?«
    »Die Outback-Welt. Irgendwo jenseits von Parvati, glaube ich.«
    Johnny sah mich verwirrt an. Er hatte den Keks aufgebrochen, das Horoskop aber noch nicht gelesen.
    »Ich glaube, man nennt sie die Welt der Dichter«, sagte ich.
»Es gibt dort sogar eine Stadt, die nach Ihnen benannt wurde  – nach Keats.«
    Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Davon habe ich noch nie gehört.«
    »Wie kann das sein? Wissen KIs nicht alles?«
    Sein Lachen war kurz und scharf. »Diese hier weiß ziemlich wenig.« Er las seinen Spruch: HÜTEN SIE SICH VOR PLÖTZLICHEN IMPULSEN.
    Ich verschränkte die Arme. »Wissen Sie, abgesehen von diesem Taschenspielertrick mit dem Holo des Bankdirektors habe ich keinen Beweis dafür, dass Sie sind, was Sie behaupten.«
    »Geben Sie mir Ihre Hand.«
    »Meine Hand?«
    »Ja. Eine.

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