Die Hyperion-Gesänge
Außenweltler darunter. Die Luft roch nach fremder Vegetation, Abwasser und kochendem Reis.
»Verdammt«, flüsterte ich. Hier befanden sich noch drei Farcasterportale; Johnny hätte auf der Stelle weiterfarcasten können.
Anstatt gleich nach Lusus zurückzucasten, durchsuchte ich die Plaza und die Nebenstraßen. Da hatte die Melaninpille, die ich geschluckt hatte, schon gewirkt, und ich war eine junge schwarze Frau – oder ein Mann, das war mit der modischen ballonförmigen roten Jacke und dem polarisierten Schild nicht zu erkennen –, schlenderte dahin und machte Bilder mit meinem Aufzeichner.
Auch die Signalkapsel, die ich in Johnnys zweitem deutschem Bier aufgelöst hatte, hatte inzwischen genügend Zeit zu wirken gehabt. Die UV-positiven Mikrosporen hingen geradezu in der Luft – ich konnte beinahe der Spur der Ausdünstungen folgen, die er hinterlassen hatte. Ich entdeckte einen hellgelben Handabdruck auf einer dunklen Wand – natürlich nur hellgelb für mein speziell ausgerüstetes Schild, sonst unsichtbar, da im UV-Spektrum – und folgte dann der Spur vager Wischer und Flecken, wo die kontaminierte Kleidung Buden oder Mauern berührt hatte.
Johnny aß in einem kantonesischen Restaurant keine zwei Blocks vom Terminexplaza entfernt. Das Essen roch verlockend, aber ich beherrschte mich und ging nicht hinein; ich studierte die Preise der Buden auf der Straße und trieb mich fast eine Stunde auf dem Markt herum, bis er fertig war, zur Plaza zurückkehrte und farcastete. Dieses Mal benützte er einen Chipcode – sicherlich ein Privatportal, wahrscheinlich eine Privatwohnung –, und ich ging zwei Risiken ein, als ich meine Pilotfisch-Karte benützte, um ihm zu folgen. Zwei Risiken, weil diese Karte erstens völlig illegal ist und mich eines Tages meine Lizenz kosten wird, wenn sie mich erwischen – unwahrscheinlich, wenn ich weiterhin Daddy Silvas obszön teure, aber ästhetisch perfekte Gestaltwandlerchips benützte –, und zweitens, weil die Möglichkeit groß war, dass ich im Wohnzimmer von Johnnys Haus herauskam – eine Situation, aus der man sich nicht so leicht herausreden kann.
Ich landete aber nicht in seinem Wohnzimmer. Noch ehe ich die Straßenschilder sehen konnte, spürte ich den zusätzlichen Druck der Schwerkraft, sah das trübe bronzefarbene Licht, nahm den Geruch von Öl und Ozon in der Luft wahr und wusste, ich war wieder daheim auf Lusus.
Johnny hatte sich in einen privaten Wohnturm mit durchschnittlichen Sicherheitsvorkehrungen in einem der Bergson-Stöcke gecastet. Vielleicht hatte er sich darum für meine Detektei entschieden – wir waren fast Nachbarn, weniger als sechshundert Klicks auseinander.
Mein Cybrid war nicht zu sehen. Ich ging zielstrebig weiter, um keine Überwachungsvids auf mich zu lenken, die auf Herumlungern programmiert waren. Es gab kein Anwohnerverzeichnis, keine Nummern oder Namen an den Türen der Apartments und keine Listen, die man über Komlog abrufen konnte. Ich schätzte, dass sich rund zwanzigtausend Wohnkuben im Ost-Bergson-Stock befanden.
Die Spuren verblassten, da die Sporensuppe allmählich schwächer wurde, aber ich musste nur zwei der radialen Korridore überprüfen, bis ich einen Hinweis fand: Johnny lebte weit draußen in einem Flügel mit Glasboden über einem Methansee. Das Türschloss leuchtete noch von seiner Handfläche. Ich las mit meiner Einbrecherausrüstung das Schloss ein und ’castete nach Hause.
Alles in allem hatte ich gesehen, wie mein Klient chinesisch essen gegangen und dann am Abend nach Hause zurückgekehrt war, um die Nacht daheim zu verbringen. Genug erreicht für einen Tag.
BB Surbringer war mein KI-Experte. BB arbeitete beim Amt für Zustromkontrolle und Statistik der Hegemonie und verbrachte den größten Teil seines Lebens liegend auf einer Null-ge-Couch, mit einem halben Dutzend Mikrointerfaces,
die direkt aus seinem Schädel verliefen, während er mit anderen Bürokraten in der Dateiebene kommunizierte. Ich kannte ihn schon am College, wo er ein reinrassiger Cyberpuke war, ein Hacker der zwanzigsten Generation, der seinen Cortikalstecker mit zwölf Standard bekam. Sein richtiger Name ist Ernest, den Spitznamen BB bekam er, als er mit einer Freundin von mir namens Shayla Toyo ging. Shayla hatte ihn bei ihrer zweiten Verabredung nackt gesehen und eine geschlagene halbe Stunde gelacht: Ernest war – und ist – fast zwei Meter groß, wiegt aber nicht einmal fünfzig Kilo. Shayla hatte gesagt, er
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