Die Hyperion-Gesänge
»Aber du bist sehr reich, Schiffsmann, oder nicht?«
Ich wandte mich ab. »Noch bin ich es nicht.«
»Ah, aber bald, Merin, bald. Wie lange für dich, Geliebter? Nicht einmal mehr zwei Wochen hier – und dann die Rückreise
zur Hegemonie. Fünf weitere Monate deiner Zeit, um die letzten Teile herzubringen, ein paar Wochen, um den Aufbau zu beenden, und dann gehst du als reicher Mann heim. Gehst zweihundert leere Lichtjahre heim. Was für ein seltsamer Gedanke … Aber wo war ich stehengeblieben? Wie lange ist das? Nicht einmal ein Standardjahr.«
»Zehn Monate«, sagte ich. »Dreihundertundsechs Standardtage. Dreihundertundvierzehn von deinen. Neunhundertachtzehn Schichten.«
»Und dann ist dein Exil zu Ende?«
»Ja.«
»Und du bist vierundzwanzig Jahre alt und sehr reich.«
»Ja.«
»Ich bin müde, Merin. Ich will jetzt schlafen.«
Wir programmierten die Ruderpinne, stellten den Kollisionsalarm ein und gingen nach unten. Der Wind hatte wieder etwas zugenommen, das alte Schiff schwankte von Wellenbergen in Wellentäler. Wir zogen uns im Licht der schwingenden Lampe aus. Ich war als Erster in der Koje unter der Decke. Siri und ich hatten zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder eine gemeinsame Schlafperiode. Ich dachte an unser letztes Wiedersehen und ihre Schüchternheit in der Villa und ging davon aus, dass sie das Licht löschen würde. Stattdessen stand sie eine Minute lang nackt in der Kälte und ließ die dünnen Arme an den Seiten herabhängen.
Die Zeit hatte vor Siri nicht haltgemacht, sie aber nicht verwüstet. Die Schwerkraft hatte ihr unentrinnbares Werk an Brüsten und Pobacken getan, und sie war viel dünner geworden. Ich betrachtete die hageren Umrisse von Rippen und Brustbein und dachte an das sechzehnjährige Mädchen mit dem Babyspeck und einer Haut wie warmer Samt. Im kalten Licht der schwingenden Lampe musterte ich Siris schlaffes Fleisch und erinnerte mich an Mondlicht auf knospenden
Brüsten. Und doch war es auf eine seltsame, unerklärliche Weise dieselbe Siri, die jetzt vor mir stand.
»Mach Platz, Merin.« Sie schlüpfte neben mir in die Koje. Die Laken waren kalt an unserer Haut, die rauhe Decke angenehm. Ich machte das Licht aus. Das kleine Schiff schwankte im gleichmäßigen Rhythmus des Meeresatems; ich hörte das mitleidige Ächzen von Mast und Takelage. Morgen würden wir wieder auswerfen und einholen und flicken, aber jetzt war Schlafenszeit. Ich döste beim Plätschern der Wellen auf Holz ein.
»Merin?«
»Ja.«
»Was würde passieren, wenn die Separatisten Touristen oder neue Bewohner der Hegemonie angreifen würden?«
»Ich dachte, die Separatisten wären ausnahmslos zu den Inseln verfrachtet worden?«
»Das wurden sie auch. Aber wenn sie Widerstand leisten würden?«
»Dann dürfte die Hegemonie FORCE-Truppen schicken, die den Separatisten kräftig in den Arsch treten.«
»Und wenn der Farcaster selbst angegriffen und vernichtet werden würde, ehe er in Betrieb genommen werden kann?«
»Unmöglich.«
»Ja, ich weiß, aber wenn?«
»Dann würde die Los Angeles neun Monate später mit Truppen der Hegemonie zurückkehren, die den Separatisten kräftig in den Arsch treten – und allen anderen auf Maui-Covenant, die sich ihnen in den Weg stellen.«
»Neun Monate Schiffszeit«, sagte Siri. »Elf Jahre unserer Zeit.«
»Aber so oder so unvermeidlich«, sagte ich. »Sprechen wir von etwas anderem.«
»Na gut«, sagte Siri, aber wir sprachen nicht weiter. Ich
lauschte dem Ächzen und Seufzen des Schiffs. Siri hatte sich in meine Armbeuge gekuschelt. Sie hatte den Kopf auf meiner Schulter liegen und atmete so tief und regelmäßig, dass ich dachte, sie würde schlafen. Ich war selbst fast eingeschlafen, als ich spürte, wie ihre warme Hand an meinem Schenkel hinaufglitt und mein Geschlecht streichelte. Ich war verblüfft, spürte aber dennoch, wie es sich versteifte. Siri flüsterte eine Antwort auf meine unausgesprochene Frage. »Nein, Merin, man ist eigentlich nie zu alt dafür. Jedenfalls nicht zu alt, dass man sich die Wärme und Nähe nicht mehr wünschen würde. Du musst entscheiden, Liebster. Ich werde mich so oder so fügen.«
Ich entschied. Erst als es dämmerte, schliefen wir ein.
Die Gruft ist leer.
»Donel, komm herein!«
Er stürzt herein, seine Uniform rauscht in der hallenden Leere. Die Gruft ist leer. Keine Kälteschlafkammer – in Wahrheit habe ich auch nicht mit einer gerechnet –, aber auch kein Sarkophag oder Sarg. Eine helle
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