Die Hyperion-Gesänge
zu ermorden. Ich leistete meine Schichten ab, träumte meine verschwitzten Alpträume und fragte mich, ob sie mich entlassen würden, wenn wir das Netz erreichten. Sie hätten es mir sagen können, aber sie beschlossen, es nicht zu tun.
Sie entließen mich nicht. Ich bekam meinen normalen Urlaub im Netz, durfte aber keinen Bodenurlaub vom Schiff nehmen, solange wir im Maui-Covenant-System waren. Zusätzlich bekam ich eine schriftliche Verwarnung und wurde vorübergehend einen Dienstgrad degradiert. So viel war Mikes Leben wert gewesen – einen Verweis und eine Degradierung.
Ich machte drei Wochen Urlaub mit dem Rest der Besatzung, aber anders als die anderen, hatte ich nicht die Absicht, wieder zurückzukehren. Ich farcastete nach Esperance und machte den klassischen Schiffsmannfehler, meine Familie zu besuchen. Zwei Tage in der engen Wohnkuppel genügten mir, danach ging ich nach Lusus und hurte drei Tage lang in der Rue des Chats herum. Als meine Stimmung düsterer wurde, ’castete ich nach Fuji und verlor den größten Teil meines Geldes, indem ich bei den dortigen blutigen Samuraikämpfen wettete.
Schließlich farcastete ich ins Heimatsystem und machte die zweitägige Shuttlepilgerfahrt nach Hellas Basin mit. Ich war noch nie im Heimatsystem oder auf dem Mars gewesen, und ich habe auch nicht die Absicht, jemals dorthin zurückzukehren, aber die zehn Tage, die ich dort verbrachte und allein durch die staubigen, unheimlichen Gänge des Klosters wanderte, bewogen mich, zum Schiff zurückzukehren. Zurück zu Siri.
Manchmal verließ ich den Irrgarten aus rotem Gestein des Megalithen, stand lediglich in Hautanzug und Maske auf einem der zahllosen Balkons und sah himmelwärts zu dem hellgrauen Stern, der einmal die Alte Erde gewesen war. Und dachte an die tapferen und dummen Idealisten, die mit ihren langsamen und leckenden Schiffen ins große Dunkel aufgebrochen waren und mit Sorgfalt und Hingabe ihre Embryos und Ideologien mit sich genommen hatten. Aber meistens versuchte ich, gar nicht zu denken. Meistens stand ich nur in der purpurnen Nacht und ließ Siri zu mir kommen. Dort im Urgestein, wo so viele verdiente Pilger vergebens nach der vollkommenen Ausgeglichenheit gesucht hatten, erreichte ich sie, indem ich an den Körper einer noch nicht ganz sechzehnjährigen Kindfrau dachte, die neben mir lag, während Mondlicht auf den Schwingen eines Thomasfalken schimmerte.
Als die Los Angeles den nächsten Sprung machte, war ich an Bord. Vier Monate später absolvierte ich zufrieden meine Schichten mit dem Bauteam, klinkte mich in die üblichen Stims ein und schlief in meinen Urlaubsphasen. Dann kam Singh zu mir. »Sie fliegen runter«, sagte er. Ich verstand es nicht. »In den letzten elf Jahren haben die Grundlinge aus Ihrem Schlamassel mit Osho eine gottverdammte Legende gemacht« , sagte Singh. »Um die Tatsache, dass Sie sich mit diesem kleinen Kolonistenmädchen im Heu gewälzt haben, hat sich ein ganzer kultureller Mythos gebildet.«
»Siri«, sagte ich.
»Holen Sie Ihre Ausrüstung«, sagte Singh. »Sie verbringen Ihre drei Wochen am Grund. Die Experten des Botschafters sagen, dass Sie der Hegemonie da unten mehr nützen als hier oben. Na, wir werden sehen.«
Die Welt wartete. Die Menge jubelte. Siri winkte. Wir verließen den Hafen auf einem gelben Katamaran und segelten südsüdöstlich Richtung des Archipels und ihrer Familieninsel.
»Hallo, Merin.« Siri schwebt in der Dunkelheit ihrer Gruft. Das Holo ist nicht perfekt, die Kanten sind verschwommen. Aber es ist Siri – Siri, wie ich sie zuletzt gesehen habe, das kurze Haar mehr geschoren als geschnitten, Kopf hoch erhoben, Gesicht von Schatten gezeichnet. »Hallo, Merin, Liebster.«
»Hallo, Siri«, sage ich. Die Tür der Gruft ist geschlossen.
»Es tut mir leid, dass ich bei unserem Siebten Wiedersehen nicht dabei sein kann. Ich hatte mich so darauf gefreut.« Siri verstummt und betrachtet ihre Hände. Das Bild wabert ein wenig, als Staubkörnchen durch ihre Gestalt schweben. »Ich hatte sorgfältig geplant, was ich hier sagen wollte«, fährt sie fort, »und wie ich es sage. Ich wollte Gefälligkeiten erbitten. Anweisungen geben. Aber jetzt weiß ich, wie nutzlos das gewesen wäre. Entweder habe ich es bereits gesagt, und du hast es verstanden, oder es gibt nichts mehr zu sagen und Schweigen wäre dem Augenblick am angemessensten.« Siris Stimme ist im Alter noch angenehmer geworden. Sie enthält eine Reife und Ruhe, die man nur erlangen kann,
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