Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
durch ein prallvolles Blutgefäß etwas Ähnliches sieht.
    Johnny scheint den Weg zu kennen – zweimal verlassen sie die Hauptverkehrsader und folgen einer kleineren Abzweigung, und Johnny muss häufig zwischen gegabelten Straßen wählen. Das bewerkstelligt er mühelos und manövriert ihre Körperanalogons zwischen Datenträgern so groß wie Raumschiffe hindurch. Brawne versucht, wieder den Biosphärenvergleich zu sehen, aber hier, zwischen den vielfach verzweigten Ästen, kann sie den Wald nicht vor lauter Bäumen sehen.
    Sie werden durch ein Areal gesogen, wo KIs über ihnen –
um sie herum – kommunizieren wie große graue Eminenzen über einem emsigen Ameisenhaufen. Brawne muss an Freeholm denken, die Heimatwelt ihrer Mutter, an die Große Steppe, so glatt wie ein Billardtisch, wo das Anwesen der Familie einsam inmitten von Tausenden Hektar Grasland stand. Sie erinnert sich an die verheerenden Herbststürme dort, als sie an der Grenze des Anwesens gestanden hatte, gerade außerhalb der schützenden Sperrfeldkuppel, und sehen konnte, wie dunkle Stratokumuluswolken sich zwanzig Kilometer hoch an einem blutroten Himmel auftürmten, wie Gewalt sich mit einer Energieballung zusammenbraute, die die Härchen an Brawnes Unterarmen in Erwartung unvorstellbarer elektrischer Entladungen aufstellte, Tornados, so groß wie Häuser, die kreisten und herniederstießen wie die Medusenlocken, nach denen sie benannt worden sind; und hinter diesen Wirbelstürmen Mauern schwarzen Winds, die alles auf ihrem Weg niederwalzten.
    Die KIs sind schlimmer. Brawne fühlt sich in ihrem Schatten weniger als unbedeutend; zu unbedeutend mag unsichtbar gehören, aber sie fühlt sich mehr als sichtbar, zu sehr Gegenstand der schrecklichen Wahrnehmung dieser gestaltlosen Giganten …
    Johnny drückt ihre Hand, dann sind sie daran vorbei, biegen links in einen belebteren Weg ab und dann wechseln sie wieder die Richtung und wieder – zwei mit Bewusstsein ausgestattete Photonen, die sich in einem Wirrwarr von Faseroptikkabeln verirrt haben.
    Aber Johnny hat sich nicht verirrt. Er drückt ihre Hand, biegt ein letztes Mal in eine dunkelblaue Höhle ab, wo außer ihnen niemand unterwegs ist, dann zieht er sie an sich, während ihre Geschwindigkeit zunimmt und Synapsenkreuzungen vorübersausen, bis sie verschwimmen und lediglich das Fehlen von Fahrtwind die Illusion zunichtemacht, sie würden
mit Überschallgeschwindigkeit einen irren Highway entlangbrausen.
    Plötzlich ertönt ein Geräusch, als würden Wasserfälle sich vereinigen, als würden Schwebezüge den Halt verlieren und mit obszönen Geschwindigkeiten über die Schienen schlittern. Brawne muss wieder an die Wirbelstürme von Freeholm denken, an die Medusenlocken, die sie über die flache Landschaft auf sich zurasen gesehen und gehört hat, und dann sind Johnny und sie in einem Mahlstrom aus Licht und Lärm und Empfindungen, zwei Insekten, die kreisend in einen schwarzen Strudel nach unten und ins Nichts gesogen werden.
    Brawne versucht, ihre Gedanken hinauszuschreien, schreit sie hinaus, aber über dem geistigen Ende-der-Welt-Tosen ist keine Verständigung möglich, daher klammert sie sich an Johnnys Hand fest und vertraut ihm, selbst als sie endlos in den schwarzen Zyklon stürzen und ihr Körperanalogon sich krümmt und unter alptraumhaftem Drücken verformt und wie ein Spitzenvorhang unter einer Sichel zerreißt, bis nur noch Gedanken übrig sind, ihr Seinsgefühl und der Kontakt mit Johnny.
    Dann sind sie durch, schweben ruhig über einem breiten und azurblauen Datenstrom, formen sich beide neu und drücken sich von dem pochenden, pulsierenden Gefühl erfüllt aneinander, wie es Kanufahrer kennen, die Stromschnelle und Wasserfall überlebt haben, und als Brawne ihre Aufmerksamkeit schließlich davon abwenden kann, sieht sie die unmögliche Größe ihrer neuen Umgebung, die lichtjahreumspannenden Weiten, den komplexen Aufbau, mit dem verglichen ihre bisherigen Blicke auf die Megasphäre wirken wie die staunenden Ausrufe eines Bauerntölpels, der die Sakristei mit der Kathedrale selbst verwechselt hat, und sie denkt: Das ist die zentrale Megasphäre !

    – Nein, Brawne, es ist eines der Peripheriemodule. Nicht näheram Core als die Perimeter, die wir mit BB Surbringer durchbrochen haben. Du siehst lediglich mehr Dimensionen davon. Der Blickwinkel einer KI, wenn du so willst.
    Brawne blickt Johnny an und stellt fest, dass sie jetzt im Infrarotbereich sieht, da die Hitze-Lichter von

Weitere Kostenlose Bücher