Die Hyperion-Gesänge
diese Entscheidung mit Stöhnen reagierten.
Wütende Stimmen der hiesigen Luftverkehrskontrolle gesellten sich zum Chor der Alarmglocken am Armaturenbrett, die Kabine schwankte, als die Polizeifernsteuerung übernahm, aber ich berührte den Diskey noch einmal mit meiner Mikrocard und nickte, als die Steuerung wieder dem Omnistick gehorchte.
Ich flog über den ältesten, ärmsten Stadtteil, blieb dicht über den Dächern und steuerte um Türme und Minarette herum, damit ich unter dem Polizeiradar blieb. An einem normalen Tag hätten mich die Cops von der Verkehrskontrolle schon längst mit Schweberucksäcken und Stabschwebern umzingelt und eingekreist, aber die Menschenmengen auf den Straßen unten und die Handgemenge vor den öffentlichen Farcasterterminexen deuteten darauf hin, dass dies alles andere als ein normaler Tag war.
Das Scenic warnte mich, dass seine Zeit in der Luft nur noch nach Sekunden bemessen war, ich spürte, wie die Steuerbordschwebdüse mit einem übelkeiterregenden Flattern den Geist aufgab und mühte mich mit Omni und Bodenpedal ab, die kippende Schrottkiste auf einem kleinen Parkplatz zwischen einem Kanal und einem großen rußigen Gebäude zu landen. Diese Stelle war mindestens zehn Klicks von dem Platz entfernt, wo Reynolds den Mob aufgewiegelt hatte, daher schien mir das Risiko am Boden nicht so groß zu sein. Nicht dass ich in diesem Augenblick eine andere Wahl gehabt hätte.
Funken flogen, Metall riss, Teile des hinteren Quarterpanels, der Heckflosse und des vorderen Trittbretts lösten sich vom Rest des Vehikels, dann war ich unten und kam zwei Meter von der Mauer über dem Kanal entfernt zum Stillstand. Ich entfernte mich mit so viel Nonchalance, wie ich aufbringen konnte, von dem Vikken.
Die Straßen wurden immer noch von der Menge beherrscht – die sich hier freilich noch nicht zum Mob zusammengerottet hatte –, und auf den Kanälen herrschte ein Durcheinander kleiner Boote, daher schlenderte ich in das nächste öffentliche Gebäude, um von der Bildfläche zu verschwinden. Es handelte sich um ein Museum, eine Bibliothek und ein Archiv zugleich; ich verliebte mich auf den ersten Blick darin – vor allem in den Geruch, denn hier standen Tausende
gedruckte Bücher, viele ziemlich alt, und nichts riecht so wunderbar wie alte Bücher.
Ich schlenderte durch den Raum, las Titel und fragte mich müßig, ob ich die Werke von Salmud Brevy hier finden würde, als ein kleiner, verschmitzter Mann in einem altmodischen Anzug aus Wolle und Fiberplastik auf mich zu kam. »Sir«, sagte er, »es ist lange her, seit uns die Freude Ihrer Gesellschaft zuteilwurde.«
Ich nickte und war sicher, dass ich diesen Mann noch nie gesehen hatte und noch nie hier gewesen war.
»Drei Jahre, richtig? Mindestens drei Jahre! Herrje, wie die Zeit vergeht!« Die Stimme des kleinen Mannes war kaum mehr als ein Flüstern – der gedämpfte Tonfall von jemand, der fast sein ganzes Leben in Bibliotheken zugebracht hatte –, aber der Unterton der Aufregung darin ließ sich nicht leugnen. »Ich bin sicher, Sie möchten gleich in die Sammlung gehen« , sagte er und trat beiseite, um mich durchzulassen.
»Ja«, sagte ich und verbeugte mich ein wenig. »Aber nach Ihnen.«
Der kleine Mann – ich war fast sicher, dass es sich um einen Archivar handelte – schien erfreut zu sein, dass er vorgehen durfte. Er schwatzte unermüdlich über Neuerwerbungen, neueste Würdigungen und Besuche von Gelehrten aus dem Netz, während wir durch einen Saal voller Bücher nach dem anderen gingen; durch hohe, mehrgeschossige Grüfte voller Bücher; durch mahagonigetäfelte Flure voller Bücher und durch geräumige Säle, wo unsere Schritte von fernen Bücherwänden widerhallten. Während des ganzen Wegs sah ich sonst niemanden.
Wir überquerten einen gefliesten Durchgang mit schmiedeeisernen Geländern über einem versunkenen Becken, wo blaue Sperrfelder Schriftrollen, Pergamente, verfallende Karten, erleuchtete Manuskripte und uralte Comics vor dem
Wirken der Atmosphäre schützten. Der Archivar machte eine schmale Tür auf, die dicker als manche Luftschleuse war, dann befanden wir uns in einem kleinen Raum ohne Fenster, in dem dicke Jalousien Alkoven voll alter Folianten verbargen. Ein einziger Ledersessel stand auf einem Prä-Hegira-Perserteppich, in einem Glaskasten sah ich einige Stücke vakuumgepresstes Pergament.
»Haben Sie vor, bald zu veröffentlichen?«, fragte der kleine Mann.
»Was?« Ich wandte mich von dem
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