Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die im Dunkeln

Die im Dunkeln

Titel: Die im Dunkeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
Vom Netzwerk:
Kapitel
    Das Restaurant Acropolis an der Connecticut Avenue nahm das Erdgeschoß in einem 66 Jahre alten, grauen Steinbau ein, der kaum zehn Meter breit war. Im Gebäude gab es keinen Aufzug, aber der pensionierte Brigadier General ging die drei Treppen hinauf und atmete, oben angekommen, nicht schwerer, als ob er eben einmal schnell um den nahen Dupont Circle gewandert wäre.
    Auf dem obersten Absatz blieb er stehen, um seinen 17 Jahre alten Kamelhaarmantel auszuziehen und ihn sorgsam über den linken Arm zu drapieren, der im Ärmel eines 14 Jahre alten Tweedanzugs steckte, dessen Schneider vor 2 Jahren mit 83 in London gestorben war.
    Nachdem er sich vergewissert hatte, daß seine blau-braun gestreifte Krawatte ordentlich im Kragen des weißen Hemds saß, nahm der General den alten hellbraunen Borsalino – mit dem neuen, grobgerippten, dunkelbraunen Band – ab und hielt ihn in der Linken. Die rechte Hand benutzte er, um die Tür zu öffnen, deren obere Hälfte größtenteils aus undurchsichtigem Milchglas bestand. Mit sauberen schwarzen Lettern waren zwei Mitteilungen auf das Glas gemalt. Die obere lautete:
     
    VICTIMS OF MILITARY INTELLIGENCE TREACHERY
    (V. O. M. I. T.)
    TRETEN SIE EIN!
     
    Die zweite:
     
    EMORY KITE
    ERMITTLUNGEN
     
    Hinterder Tür gab es keinen Empfangsbereich; rechts lag ein abgeteiltes 6,5 x 4m großes Büro mit 1,80m hohen Plastikwänden, das obere Drittel größtenteils Fensterglas. Die Wände umschlossen drei verriegelte graue Aktenschränke aus Stahl, einen grauen Metallschreibtisch, eine Telefonkonsole, einen PC, ein Faxgerät, einen Kopierer und Emory Kite, Privatdetektiv mit Lizenz, der mit seinem Drehstuhl herumwirbelte, um Vernon Winfield zuzuwinken und ihn mit seiner Baßstimme zu begrüßen: »Hey, General, wie geht’s?«
    Winfield hielt inne, nickte dem kleinen Detektiv förmlich zu und sagte: »Danke, sehr gut, Mr. Kite.« Dann wandte sich Winfield dem Nervenzentrum von VOMIT zu, einem massiven, 73 Jahre alten, goldgelben Eichenschreibtisch unmittelbar neben zwei Fenstern oberhalb der Connecticut Avenue. Die Tischfläche war fast begraben unter Stapeln in- und ausländischer Zeitungen, Magazine und Regierungsbulletins – alle sahen aufgedunsen, durchblättert, gründlich gelesen aus.
    Hinterm Schreibtisch und an der Südwand des Gebäudes standen 9 m überfüllter Bücherregale aus lackierter Kiefer, bis zur 4,20 m hohen Decke, bis zum Gang. Näher am Tisch gab es einen PC, ein Faxgerät, einen kleinen Xerox-Kopierer und einen sehr alten, sehr großen, weit offenen Safe mit Flanschen, vor so langer Zeit an den Boden geschraubt, daß die Schraubenköpfe mattrot gerostet waren.
    Besetzt oder eher angefüllt war der goldene Eichendrehstuhl vor dem Tisch von Nicholas Patrokis, einem großen Mann mit Halbglatze, in den Vierzigern, der einen gewaltigen Schnauzbart und im linken Ohr einen Goldring trug, groß wie ein Trauring. Patrokis’ Augen waren so schwarz, wie Menschenaugen überhaupt nur werden können, und über ihnen wuchsen dunkle Hecken fast zusammen über der zum Schnurrbart weisenden Hakennase.
    Eineweiße Narbe wie ein Blitzstrahl begann oben neben dem linken Ohr, schien Mund und Kinn zu spalten und endete ein paar Zentimeter unter dem rechten Ohrläppchen. Eine Frau hatte ihm irgendwann gesagt, mit der Narbe sehe er aus wie der Pirat einer Illustration von N. C. Wyeth in einem ihrer Kinderbücher. Patrokis mochte diesen Vergleich so sehr, daß er an Tagen, die ihm zu heiß oder zu kalt vorkamen, ein rotes Halstuch nach Piratenart um seine Halbglatze gewickelt trug.
    Über den Tisch gebeugt, den Telefonhörer ans linke Ohr gepreßt, lauschte Patrokis gerade und kritzelte Notizen auf einen grauen Stenoblock. Als der General näher trat, wandte er sich um, den Hörer noch immer am Ohr, und deutete mit einem Kuli auf den hölzernen Lehnstuhl, dessen Sitz von einem fußhohen Stapel ›Economist‹ belegt war. Patrokis benutzte den abgetragenen Joggingschuh am linken Fuß, um die Magazine zu Boden zu stoßen, widmete sich dann wieder dem Zuhören und Notieren.
    General Winfield ließ sich auf dem Lehnstuhl nieder und schaute sich um, mit der neutralen Miene eines Menschen, der alles über die Kunst des Wartens weiß. Von seinem Platz neben dem Tisch hatte er einen guten Blick über das gesamte dritte Stockwerk und begann automatisch mit einer Inventur.
    Etwa zwei Drittel der dritten Etage waren dem vorbehalten, was Patrokis gern das Auditorium nannte: eine offene

Weitere Kostenlose Bücher