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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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Gerechtigkeit dies wäre. Gibt es irgendeine wahnsinnige Logik, die es geschehen läßt, daß Nicolai ein zweites Mal seiner Strafe entgeht, nur weil ihm ein Vollidiot mit einem Kampfhund in die Quere gekommen ist?
    Auf keine dieser Fragen wird er je eine Antwort erfahren, denn er rückt den grün Uniformierten, auf deren Mützen und Jacken sich die lockeren, nassen Flocken sammeln, immer näher. Er beruhigt sich etwas, als er sieht, daß die Autos vor ihm alle durchgewinkt werden. Als er endlich zum Stehen kommt und die Fensterscheibe herunterläßt, zittern seine Hände. Einer der Polizisten bedeutet ihm mit dem Handschuh, auf den Standstreifen zu fahren. Er rollt aus und würgt den Motor ab. Krämpfe laufen in Wellen durch seinen Bauch, erreichen ihren Höhepunkt, als er das Gefühl hat, irgendwas in seinen Därmen müsse reißen, und lassen dann wieder nach. Er öffnet die Autotür, um auszusteigen. Er spürt einen kaum mehr zu unterdrückenden Drang, die Hose hinunter zu lassen und sich direkt neben dem Auto zu entleeren.
    „Bleiben Sie im Wagen“, sagt der Polizist.
    Er schließt die Tür wieder, wird nach Führerschein, Fahrzeugschein und Personalausweis gefragt und reicht alles mit schwitzenden Händen durch das Fenster. Ein Polizist nimmt seine Dokumente und geht zu einem Polizeibus. Weigandt hat den Eindruck, als würde der Mann sehr lange wegbleiben. Schließlich kommt der Polizist mit einem zweiten zurück, der älter ist und wie ein Vorgesetzter aussieht.
    „Würden Sie bitte aussteigen.“
    Er steigt aus. Die Glock in seinem Schulterholster brennt wie ein Stück glühendes Eisen. Er drückt die rechte Hand auf die linke Brustseite, um die Waffe zu verbergen. Es kann nur noch Sekunden dauern, bis die Polizisten die Pistole entdecken.
    „Wo kommen Sie her?“
    „Aus Saarbrücken.“
    „Und wo fahren Sie hin?“
    „Nach Kassel.“
    „Und was machen Sie in Kassel?“
    Weigandt zögert fast zu lange, um es noch natürlich klingen zu lassen. „Ich laufe bei einem Volkslauf mit.“
    Auf eine solche Situation ist er nicht vorbereitet. Im Dezember finden keine Volksläufe statt.
    „Ganz schön kalt für einen Volkslauf“, sagt der Polizist und zeigt dabei auf den Laderaum des Toyotas. „Würden Sie bitte die Heckklappe aufmachen.“
    Er öffnet langsam die Heckklappe. Der Polizist klinkt die Abdeckung aus und läßt sie in Richtung Rückbank zurückgleiten.
    „Was haben Sie da drin?“ fragt der Polizist und zeigt auf die Sporttasche, die die Munition für die Glock und die Handschellen enthält.
    „Meine Laufsachen.“
    Der Polizist will eben am Reißverschluß ziehen, als er über Funk gerufen wird. Er tritt von Weigandts Wagen zurück, drückt das Funkgerät an sein Ohr und hört dem am anderen Ende zu. In diesem Moment bläst eine besonders heftige Böe über den Main her, die dem Polizisten Regen und Schnee ins Gesicht weht. Als er mit seinem Gespräch fertig ist, sieht er Weigandts Toyota abwesend an. Dann scheint ihm irgend etwas wieder einzufallen. Endlich sagt er: „Sie können weiterfahren“, und zeigt mit zwei Fingern seiner behandschuhten Rechten nach vorne.
    „Wen suchen Sie eigentlich?“ fragt Weigandt, als er wieder im Auto sitzt.
    „Keinen Volksläufer. In Darmstadt wurde ein Geldtransport überfallen.“
***
    Erst als die sanften Hügel Hessens, die sich bis nach Thüringen hinziehen, auftauchen, fühlt er sich besser. Er schaltet den CD-Player wieder ein und hört noch einmal John Fogerty. Es ist bereits kurz nach drei, und er hat noch dreihundert Kilometer vor sich. Der Schneefall läßt nach, trotzdem strengt ihn das Fahren immer mehr an. Kurz vor sechs stoppt er an einer Autobahnraststätte auf der Höhe von Jena. Er tankt, kauft sich einen Kaffee und zwei belegte Brote und nimmt alles mit ins Auto. Auf dem dunklen Teil des Parkplatzes sitzt er dann im Wagen und ißt und trinkt. Im Radio hört er, daß die A 4 ab Gera wegen Schneeverwehungen gesperrt ist. Er muß über Leipzig fahren, was ihn eine ganze Stunde kosten wird. Auch die Fahrbahn der A 9 nach Leipzig ist teilweise mit einer geschlossenen Schneedecke bedeckt. Als er Leipzig erreicht, ist es stockdunkel. Der Schnee liegt zentimeterdick auf den Straßen. Er ist müde, sein Rücken steif und der Kopf tut ihm weh – und das genau jetzt, da er ausgeruht und konzentriert sein sollte. Er fragt sich zum soundsovielten Mal, ob er die ganze Aktion abbrechen soll, und weiß doch, daß er es hier und heute zu Ende bringen

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