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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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humorvollen, wenn auch etwas oberflächlichen Mediziner der alten Schule gekannt hatte, wurde plötzlich sehr ernst. Er nahm seine Halbbrille ab und sah mich erstaunt, aber fest an. In seinen Augen lagen Unverständnis und Widerwille dicht beieinander. Er blieb höflich, aber der gewohnt scherzende Ton seiner Rede war einem angespannten, sachlichen Ernst gewichen. Er riet mir von einem Schwangerschaftsabbruch in meinem Alter dringend ab. Es wäre möglich, daß ich danach nie wieder Kinder bekommen könnte. Ich erklärte ihm, daß ich weder jetzt noch irgendwann später jemals Kinder wollte. Das, sagte er, könne nicht ich allein entscheiden. Da wäre noch der Vater des Kindes, und da wäre noch unser aller Vater da oben, der es überhaupt ermöglicht hätte, daß uns Kinder geschenkt würden. Ob ich daran jemals gedacht hätte, daß ein Kind ein Geschenk Gottes sei, das man nicht leichtfertig einfach töten könnte?
    Ich wurde verwirrt und unsicher. Die Wendung des Gesprächs ins Religiöse hatte ich nicht erwartet. Ich dachte, daß eine Abtreibung ungefähr so schwer durchzuführen sei wie eine Mandeloperation. Ich wurde wütend und hörte mich plötzlich schreien: „Als Ärztin bin ich sehr wohl in der Lage zu verstehen, daß ich Leben in meinem Bauch habe. Ich weiß aber auch, daß es sich jetzt nur um einen Zellhaufen handelt, den ich noch sechs Wochen lang vollkommen legal abtreiben kann.“
    Er antwortete nicht gleich.
    „Juristisch“, sagte er dann ruhig, „haben Sie vollkommen recht, Sie können den Zellhaufen abtreiben. Medizinisch haben Sie nicht recht, denn Sie gefährden Ihre Gesundheit. Und menschlich haben Sie überhaupt nicht recht. Aber das begreifen Sie wahrscheinlich gar nicht.“
    Wie oft habe ich seitdem meine Worte von damals bereut. Aber aus irgendeiner perversen Laune heraus, vermutlich weil sich mein Leben so plötzlich änderte, fand ich nicht mehr zur Vernunft zurück. Wutentbrannt sagte ich dem Gynäkologen, daß ich schon einen Frauenarzt finden würde, bei dem ich abtreiben könne, wenn er dazu nicht willens sei. Er sah mich kurz und traurig an, dann blickte er an die Zimmerdecke, als würde er nachdenken, und dann bat er mich mit ruhigen Worten, seine Praxis zu verlassen. Er riet mir, mein Vertrauen zukünftig einem Kollegen zu schenken. Ich saß einen Moment sprachlos da, dann stürmte ich aus dem Behandlungszimmer hinaus.
    Über Empfehlungen kam ich schließlich zu einer Frauenärztin, mit der ich mich von Anfang an blendend verstand. Als ich ihr mein Problem geschildert hatte, bestärkte sie mich sofort darin, abzutreiben. Sie empfahl mir eine kleine Privatklinik in Luxemburg, die für ihre Lage, ihre Küche und ihren Park berühmt war. Dort könnte ich in einem exklusiven Ambiente den kleinen Eingriff in aller Ruhe und vollkommen diskret vornehmen lassen. Ich atmete auf. Das Problem war gelöst.
    Bis dahin hatte ich Michael keinen Ton von all dem gesagt. Irgendwann nach dem Abendessen versuchte ich, es ihm so schonend wie möglich beizubringen. Aus heutiger Sicht muß ich mich wundern, wie naiv ich damals gewesen bin. Ich hätte mir denken können, daß Michael niemals einer Abtreibung zustimmen würde. Aber vielleicht liegt es daran, weil ich mit den Gedanken der Frauenbewegung aufgewachsen bin und wirklich glaubte: Mein Bauch gehört mir. Ich muß Michael zugute halten, daß er mich an diesem Abend einfach nicht verstand. Er wurde nicht böse, sondern reagierte mit totalem Unverständnis. Und er war traurig. So traurig und verzweifelt, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Er war kategorisch gegen jede Abtreibung. Er brachte alle erdenklichen Gründe vor: medizinische, biologische, ethische, religiöse, wirtschaftliche – was ihm einfiel. Und Michael fällt viel ein. Er kam mit den erstaunlichsten Gedanken. Wenn es nur darum ginge, daß ich weiterarbeitete, da ließe sich schon eine Lösung finden. Er würde halbtags arbeiten und das Kind aufziehen. Oder seine Mutter, die hätte Zeit, seine Schwägerinnen, die Frau meines Bruders: die alle könnten sich doch um das Kind kümmern, oder ein Au-pair, und ich könne weiterarbeiten – alles, alles, nur nicht abtreiben.
    Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich war erstaunt und erfreut zugleich über seine Fürsorge, seine vielen Ideen und seine ehrliche Sehnsucht nach einem Kind, noch dazu nach einem Kind von mir. Aber dieses Mal würde ich nicht nachgeben. Ich war längst bei Pro Familia gewesen, ich hatte mir bereits einen Termin in

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