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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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habe nur dich.“
***
    Die Jahre nach Florians Tod waren grau, kalt und vollkommen trostlos. Wenn ich auf der Straße ging, dann fühlte ich zwischen mir und allen anderen Menschen eine Wand aus Glas. Ich sah die Menschen um mich herum, ich sah sie sprechen, lachen oder irgend etwas rufen, aber ich hörte sie nicht. Ich wurde vergeßlich und unkonzentriert. Beim Nachdenken und Reden verlor ich nun ständig den Faden. Ich konnte mir die einfachsten Dinge nicht mehr merken und mußte mir alles aufschreiben. Es passierte nun häufig, daß ich auf der Straße stehenblieb und nicht mehr wußte, wo ich hingehen wollte. Jedes Kind in Florians Alter rief in mir einen wilden, zuckenden Schmerz hervor. Dunkle Gefühle überkamen mich; ein heißer Neid erfaßte mich jedesmal, wenn ich Eltern mit Kindern sah. Warum wir? fragte eine Stimme in mir. Warum wir und nicht die? Und immer wieder: Was habe ich getan, was habe ich verbrochen, daß ich so dafür büßen muß? Und einmal, als ich auf dem Schloß oben stand und über die Mauer auf die Saar hinunter blickte, da tauchte zum ersten Mal der unerträglichste aller Gedanken in mir auf: Ich habe Florian nicht gewollt, und darum wurde er mir wieder genommen, ich bin schuld, das ist die Strafe. Jahrelang quälte mich dieser Gedanke, und nie wagte ich, mit irgend jemandem darüber zu reden.
    Ein Jahr nach seinem Tod träumte ich zum ersten Mal von Florian, träumte einen Traum, der seitdem immer wiederkehrt: Ich bin an einem Fluß beim Baden. Es ist heiß, ich liege auf einer Luftmatratze unter einer hohen Trauerweide und schaue auf das schnell fließende Wasser. Der Fluß ist nicht tief. Ich kann die hellen Kiesel auf dem grünen Grund sehen. Niemand ist in meiner Nähe. Zwischen meinem Ufer und der anderen Seite liegt eine lange Insel, die mit einem Urwald von Bäumen und Sträuchern bewachsen ist. Ich kenne weder den Fluß noch die umliegende Gegend. Trotzdem weiß ich, daß mitten durch den Fluß eine Grenze verläuft und das andere Ufer bereits in einem anderen Land liegt. Plötzlich sehe ich Florian auf der Insel stehen und zu mir herüberschauen. Ein heißes Glücksgefühl geht durch mich hindurch. Florian, da steht er, es war also alles ein Irrtum, Florian ist gar nicht tot, er hat sich einfach irgendwo in den Auen an einem Fluß verlaufen. Florian lebt! Er ist keine zwanzig Meter von mir entfernt. Florian , schreie ich immer wieder, Florian , winke und gestikuliere wie eine Verrückte, aber er hört und sieht mich nicht, er steht nur regungslos da und blickt ganz woanders hin. Ich stehe auf und wate in den Fluß hinein. Das Wasser ist so kalt, daß es mir den Atem verschlägt. Schon nach wenigen Schritten stehe ich bis zu den Hüften im Wasser. Die Strömung ist reißend stark. Mit aller Kraft stemme ich mich gegen den Fluß, aber ich komme keinen Schritt voran. Das Wasser umfließt mich zäh wie Öl. Florian steht immer noch auf der sandigen Spitze der Insel. Jetzt dreht er seinen Kopf zu mir her. Ich schreie mir die Lungen aus dem Hals, aber er hört mich nicht. Endlich dreht er sich langsam um und geht in das dichte Buschwerk zurück. Wie eine Verrückte stemme ich mich gegen die Strömung, aber mit all meiner Kraft erreiche ich kaum die Mitte des Flusses, der nun so tief wird, daß ich nicht mehr stehen kann. Ich rudere mit den Armen im Wasser, immer noch Florian, Florian schreiend, bis ich den Stand verliere und die eisigen Wellen über mir zusammenschlagen. An dieser Stelle wache ich dann jedesmal auf.
    Es mag teilweise an meiner katholischen Erziehung liegen, daß ich nie anders als in den Gegensätzen von Schuld und Sühne über Florians Tod denken konnte. Aber es liegt zu einem Teil auch an der Reaktion der Menschen auf unser Unglück, daß ich irgendwann anfing, mir die Schuld zu geben. In der Zeit nach Florians Tod hatten Freunde und Bekannte sich verpflichtet gefühlt, etwas für uns zu tun. Leute, die wir nur flüchtig kannten, riefen uns an und forderten uns auf, es ihnen nur ja zu sagen, wenn wir was bräuchten.
    Aber bald wurden die Einladungen und die Anrufe seltener, bis sie schließlich ganz ausblieben. Unser Unglück fing an, den Leuten auf die Nerven zu gehen. Die Eltern eines ermordeten Kindes sind drei Monate lang interessante Wundertiere, weil es den meisten Menschen gut tut, mit jemandem zu reden, dem es viel schlechter geht als einem selber. Aber keiner will Tragödien und ihre Opfer jahrelang um sich haben. Auf der Straße, beim Einkaufen, in der

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