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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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passiert?“
    „Das war ein Dienstag, nicht? Am Sonntag davor bin ich nochmal bei Monja gewesen. Ich wollte eine letzte Aussprache. Ich bin zu ihr nach Saarlouis gefahren und habe an ihrer Tür geläutet, aber sie ließ mich nicht mal rauf. Sie erklärte mir über die Sprechanlage, daß es aus sei, daß ich mich zum Teufel scheren sollte, weil ich ein Lügner, ein Hochstapler und ein Verbrecher bin. Ich weinte in die Sprechanlage, habe gebettelt und gefleht, daß sie mich rauf läßt, nur für fünf Minuten, aber ich hab über die Sprechanlage gehört, wie sie die Polizei angerufen hat. Und dann bin ich weggefahren.“
    „Bist du von da direkt zu der Nutte gefahren?“
    „Wer sagt denn was von einer Nutte?“
    Weigandt klopft mit der Hand auf den Ordner, den er neben sich auf den Estrich gestellt hat. „Jetzt komm, Falko … Das steht in den Ermittlungsprotokollen der Kripo.“
    „Sie haben mich noch nie Falko genannt.“
    Weigandt lächelt, sagt aber nichts.
    „Aber wie kommen Sie an die Ermittlungsprotokolle? Niemand darf ...“
    „Ist doch scheißegal! Ich hab sie und damit aus. Hier steht, du bist danach von Saarlouis nach Saarbrücken in die Mainzer Straße zu einer thailändischen Prostituierten gefahren. Ja oder nein?“
    „Okay, ja, ich war bei einer. Ist doch egal, hat doch mit dem Jungen nichts zu tun. Sex entspannt mich, verstehen Sie?“
    „Und danach?“
    „Bin ich nach Hause gefahren und habe mich ins Bett gelegt. Ich war fertig. Am Montag habe ich mich krankschreiben lassen.“
    „Und bist du da auch im Bett gelegen?“
    „Nein, ich war ja nicht wirklich krank. Ich war in meinem Zimmer, habe Videos geguckt, Zeitung gelesen und den ganzen Tag versucht, Monja ans Telefon zu bekommen, ich wollte es einfach erzwingen. Ich hatte sie einmal kurz dran, dann hat mich plötzlich ihr Chef angerufen und mir gedroht, daß er auf der Stelle zur Polizei geht, wenn ich noch einmal bei der Firma anrufe. Da war dann bei mir Schluß. Ich bin in den Supermarkt hinunter, habe mir eine Flasche Wodka gekauft und den hab ich dann getrunken.“
    „Und was ist bis Dienstag morgen geschehen?“
    „Nichts. Ich bin früh ins Bett gegangen und gleich wieder aufgestanden, weil ich nicht schlafen konnte. Es war eine furchtbare Nacht. Ich wußte, daß irgendwann der Damm brechen würde; ich war nur noch Wochen, vielleicht wenige Tage davon entfernt. Mir war auch bewußt, daß es dieses Mal bis zum bitteren Ende gehen würde. Irgendwann in der Nacht rief ich meine Mutter an. Ich redete zehn Minuten mit ihr, dann hat sie eingehängt; meine Mutter hat sich nie viel aus mir gemacht. Das beruhigte mich aber trotzdem irgendwie. Irgendwann bin ich dann eingeschlafen. Am Morgen fühlte ich mich etwas besser, aber in mir war eine ungeheure Spannung, eine Nervosität, die alle anderen Gefühle überlagerte. Ich sagte kurz in der Arbeit Bescheid, daß ich die ganze Woche krank wäre. Dann bin ich runter zu einer Tankstelle, wo sie frische Brötchen haben und Kaffee, und hab da gefrühstückt. Und während des Frühstücks überkam mich plötzlich diese Sicherheit.“
    „Was für eine Sicherheit?“
    Nicolai schaut Weigandt nachdenklich, fast träumerisch an. Im Licht der Neonröhre verengen sich Nicolais graublaue Augen zu schmalen Schlitzen.
    „Daß es heute mit einem Kind klappen würde. Diese Sicherheit war plötzlich da, so wie die Antwort auf eine Frage, über die man seit Wochen nachgedacht hat. Auf einmal wußte ich, daß ich genau heute ein Kind in meinem Auto mitnehmen und in meine Gewalt bringen würde, daß es heute endlich gelingen würde, daß ich mit dem Kind tun konnte, was ich wollte, und daß dieses Kind tun mußte, was ich verlangte. Dieser Gedanke erregte mich ungeheuer. Und gleichzeitig beruhigte er mich. Die Spannung der letzten Monate war mit einem Schlag einer fast schon überirdischen Ruhe gewichen. Ich brauchte überhaupt nicht länger nachzudenken, alles lief wie ein Film vor meinen Augen ab.“
    „Und dann?“
    „Das würde sich ergeben. Ich hatte nichts im Detail geplant. Ich bin hinunter zum Auto gegangen und losgefahren.“
***
    „Ich war noch keine zehn Minuten unterwegs, da fiel mir der Junge mit dem blauen Dreirad auf. Ich hatte ihn schon früher gesehen. Mit seinem Bein war was nicht in Ordnung. Wenn er in die Pedale trat, dann ging sein ganzer Körper auf und ab. Die Straße geht da ein Stück den Hügel hinauf. Ich fuhr langsam hinter ihm her und sah, wie schwer es für ihn war, die

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