Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
Institutionalisierungsschub vollzog sich im zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts vor allem in Südfrankreich und in Italien in einem an Rückschlägen nicht armen Trial-and-Error-Verfahren. Eine wichtige Zäsur sollte hier die berühmt-berüchtigte Bulle
Ad extirpanda
darstellen, die am 15. Mai 1252 von Papst Innozenz IV. ausgefertigt wurde; unmittelbar zielte sie auf die Verhältnisse in den oberitalienischen Stadtstaaten, wurde aber bald auch als europaweite Norm für die Inquisition rezipiert. Sie faßte die bisher verstreuten päpstlichen Bestimmungen zur Ketzerverfolgung zusammen und legitimierte erstmals und mit durchschlagender Langzeitwirkung die Anwendung der Tortur im kirchlichen Inquisitionsverfahren. Damit war der Weg zum summarischen Ketzerprozeß des späten Mittelalters endgültig vorgezeichnet. Zu betonen ist aber, daß dieser nur eine besondere Ausprägung jenes Inquisitionsverfahrens darstellte, das im kirchlichen
und
im weltlichen Bereich Anwendung fand. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts blieb dieses Verfahren in vielerlei Variationen die Grundlage der Strafgerichtsbarkeit im größten Teil Europas.
2. Südfrankreich: Das Versuchslabor der Inquisition
Okzitanien, das Gebiet zwischen Pyrenäen und Seealpen im Süden Frankreichs, stellte um 1200 eine kulturell, sprachlich und politisch eigenständige Region dar. Hier – vor allem im Ketzerdreieck von Albi, Toulouse und Carcassonne – hatten zu jener Zeit die Katharer ihre Hochburg, auch wenn sie keineswegs die Mehrzahl der Bevölkerung stellten. Ihre Hauptanhängerschaft besaßen sie in den ländlichen Gebieten, unter den kleinen Leuten ebenso wie unter dem niederen Adel, während sie in den Städten zumeist nur eine kleinere, wenn auch einflußreiche Gruppe waren. Auch wenn die führenden Aristokraten in der Region zumeist katholisch blieben, war ihre Haltung zu den Häretikern – ebenso wie diejenige der meisten anderen – eher durch wohlwollende Indifferenz gekennzeichnet. Ihr nachdrücklicher Aufruf zu moralisch-ethisch eindeutigem Verhalten sicherte den Katharern Sympathien in allen Schichten. Das christliche Heil wurde vielfach bei den Katharern in besseren Händen gesehen als bei den Vertretern der offiziellen Kirche.
Bereits im ersten Jahr seines Pontifikates 1198/99 schickte Papst Innozenz III. zwei Zisterziensermönche mit weitreichenden Vollmachten nach Okzitanien, um den rechten Glauben zu predigen und sicherzustellen, daß alle geistlichen wie weltlichen Waffen gegen die Häretiker und ihre Gönner eingesetzt würden. Ab 1203 kamen neue päpstliche Legaten ins Land, darunter der streitlustige Zisterzienser Peter von Castelnau. Die Sendboten des Papstes versuchten, die zahlreichen regionalen Fehden und Zerwürfnisse zu schlichten und gleichzeitig mit Predigten die Ketzerei zu bekämpfen. Unterstützt wurden sie 1206/07 im übrigen durch Dominikus Guzmán, dessen Bewegung im Jahr 1216 von Papst Honorius III. als Orden der Predigerbrüder offiziell anerkannt wurde. Als Dominikaner, unter dem Namen ihres heilig gesprochenen Gründers, sollte sie künftig bekannt werden.
Vorerst blieb die Antiketzerpolitik des Papstes jedoch nur sehr begrenzt erfolgreich. Nicht zum ersten Mal wurde im Jahr 1207 Raimund VI., der Graf von Toulouse, der wie ein König überweite Teile Okzitaniens herrschte, wegen mangelnder Unterstützung bei der Bekämpfung der Häresie vom Legaten Peter von Castelnau exkommuniziert. Im Januar 1208 fiel dieser Gesandte des Papstes einem Mordanschlag zum Opfer, der zum Kreuzzugsfanal werden sollte. Propagandistisch wurde dem Grafen von Toulouse direkt oder indirekt die Verantwortung für die Bluttat zugeschoben. Dadurch konnten die politischen Bedenken der Könige von Frankreich und von Aragón gegen eine bewaffnete Intervention überspielt werden. Zum ersten Mal riefen päpstliche Gesandte zu einem Kreuzzug gegen den Feind im Inneren der Christenheit auf, versprachen reichlich Ablässe sowie ein Anrecht auf den Besitz der ketzerischen Gegner.
So begannen die sog. Albingenserkriege, die zwanzig Jahre lang den Süden Frankreichs verwüsteten. Sie endeten im April 1229 unter dem jungen König Ludwig IX. mit einem demütigenden Friedensvertrag für den isolierten Graf Raimund VII., der faktisch die Eingliederung Okzitaniens in den Machtbereich der französischen Krone besiegelte. Die Bedeutung des erfolgreichen Kreuzzugs liegt darin, die politischen Rahmenbedingungen für die Etablierung einer effizienteren
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