Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
Großwetterlage: Zwischen 1238 und 1241 war der Konflikt zwischen dem Papst und Kaiser Friedrich II. derartig eskaliert, daß er andere dringende Fragen in den Hintergrund drängte. Der Papst versuchte, den auf seiten Friedrichs stehenden Grafen Raimund VII. dadurch auf seine Seite zu ziehen, daß er die Arbeit der Tribunale vorerst ruhen ließ. Der Graf wiederum trachtete den aufgeflammten englisch-französischen Konflikt für sich zu nutzen und sein Herrschaftsgebiet zu verbreitern. Eine Verschwörung gegen Ludwig IX. scheiterte jedoch; 1242 sah er sich erneut und diesmal endgültig zur Kapitulation gegenüber der Krone gezwungen.
Damit war der Boden für eine erneute Offensive der Inquisitoren bereitet. Insbesondere Petrus Seila und Guillelmus Arnaldi waren Anfang der 1240er Jahre aktiv. Petrus Seila war einer der ersten Gefolgsleute des Dominikus gewesen. Er besuchte in den Jahren 1241/42 die Gegend des Quercy. In seinem Register finden sich die Namen von ca. 600 Verurteilten, wobei sicherlichnoch mehr Leute verhört wurden. Als Strafen verhängte er vor allem das Tragen des aufgenähten Kreuzes und bestimmte Leistungen zur Armenversorgung, aber auch Wallfahrten, als besonders schwere Variante diejenige nach Konstantinopel. Andererseits gibt es kein Todesurteil, keine Konfiskation und kein Gefängnis. Es handelt sich wohl vor allem um Fälle, in denen die Menschen innerhalb der Gnadenfrist eigene Vergehen «beichteten». Insofern verzeichnete Petrus Seila Erfolge vor allem durch Milde. Guillelmus Arnaldi scheint dagegen willkürlicher und grausamer vorgegangen zu sein. Seine Ermordung im Mai 1242 sollte zu einem Wendepunkt werden. Zusammen mit etlichen Begleitern fiel Arnaldi einem Mordanschlag kämpferischer Katharer zum Opfer. Die Bluttat von Avignonet provozierte, ebenso wie im Fall des Peter von Castelnau, entschiedene Maßnahmen der Ketzerbekämpfer. In den Blickpunkt rückte nun die kleine Bergfestung Montségur. Seit längerem war sie Zufluchtsstätte und Hochburg der Katharer; außerdem hatte ihr Kommandant bei dem Anschlag auf die Inquisitoren seine Hand im Spiel. Nach fast einjähriger Belagerung durch ein königliches Heer kapitulierte die Festung am 16. März 1244. Freiwillig und ohne Prozeß bekannten sich die katharischen Vollkommenen zu ihrem Glauben. Über zweihundert wurden daraufhin am Fuß des Berges mit dem Feuer gerichtet, unter ihnen auch einige Adlige und Söldner, die sich dem Vorbild der «Vollkommenen» verpflichtet fühlten – ein bemerkenswertes Zeugnis für die Überzeugungskraft der Häretiker.
Nach dem Fall von Montségur kam es zu Verfolgungen durch die Inquisition in bisher unbekannten Größenordnungen. Ihre Protagonisten waren seit 1243 die beiden Dominikaner Bernard de Caux und Jean de Saint-Pierre, Inquisitoren der zweiten Generation. Sie betrieben zwischen Mai 1245 und August 1246 die wohl weitläufigste Untersuchung, die je mittelalterliche Inquisitoren durchgeführt haben. Statt sich der gefahrvollen Reise über Land auszusetzen wie der ermordete Arnaldi, zentralisierte man nun das Verfahren. Flächendeckend zitierten die Inquisitoren alle Einwohner des Lauragais, der Landschaft, die sich südöstlich von Toulouse bis nach Carcassonne erstreckt, in das Klostervon St. Sernin in Toulouse. Aus den nur bruchstückhaft erhaltenen Quellen lassen sich allein über 5400 Verhöre rekonstruieren, wahrscheinlich nur ein Bruchteil aller tatsächlich durchgeführten. Jede männliche Person über 14 und jede Frau über 12 Jahre sollte befragt werden. Notwendigerweise brachte die große Zahl zugleich eine Bürokratisierung des Vorgehens mit sich, etwa die Verwendung standardisierter Frageraster, um über Fakten, Zeitangaben, Treffen und Glauben der Katharer Auskunft zu erlangen. Dabei konnten die Inquisitoren bereits auf einen Stab von Notaren, Schreibern und unterstützenden Amtsträgern zurückgreifen; anders wäre die Massenbefragung der Menschen in kleineren Gruppen von 20–30, bisweilen bis zu 75 Personen kaum zu bewältigen gewesen. Man wollte ein vollständiges und allumfassendes Gesamtbild haben, weniger über Inhalte des Glaubens als über die Beteiligung konkreter Personen an der Ketzerei. Dabei konnte man vielfach die Aussagen mit Verhören vergleichen, die dieselben Personen bereits früher gegenüber anderen Inquisitoren gemacht hatten. Auf diese Weise konnten die Befrager mehr als einhundert Falschaussagen ermitteln sowie geheime Abmachungen und
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