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Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Titel: Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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von der Grenze zum Königreich Aragón, wo der aus Italien zurückgekehrte Pierre Autier als Missionar der Katharer wirkte. Ab 1303 ging der Inquisitor Gottfried d’Ablis mit Razzien und umfangreichen Prozessen gegen diese Gefahr vor, 1307 traf mit Bernard Gui ein weiterer erfahrener Inquisitor in Toulouse ein. Im Laufe des Jahres 1309 nahm man der Reihe nach die wichtigsten «Vollkommenen» gefangen, im April 1310 wurde Pierre Autier in Anwesenheit der beiden Inquisitoren auf dem Scheiterhaufen hingerichtet. Einem einzigen Vollkommenen, Guillaume Bélibaste, gelang die Flucht nach Katalanien ins Exil. Er wurde erst im Zuge der letzten Inquisitionswelle gefaßt, die ab 1318 von Bischof Jacques Fournier, dem nachmaligen Papst Benedikt XII., geleitet wurde. Die letzten Katharer fielen also nicht dem Zugriff eines päpstlichen, sondern eines bischöflichen Inquisitors zum Opfer.
3. Regionale Variationen
    Das mittelalterliche Papsttum war eine Institution mit universalem Anspruch und europäischer Ausstrahlung. Als päpstliche Sondergesandte für den Kampf gegen die Häresien konnten die Inquisitoren deshalb ihrem Anspruch nach im Bereich der gesamten abendländischen Christenheit wirken. Gleichwohl stellte die mittelalterliche Inquisition niemals jene totalitäre Großorganisation dar, als die sie in die moderne Vorstellungswelt eingegangen ist. Ihr konkreter Wirkungsbereich war durch das Auftreten ketzerischer Bewegungen determiniert. Im ersten Jahrhundert ihrer Existenz waren das zunächst die Katharer. Während diese Herausforderung im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts schon von der geschichtlichen Bühne verschwunden war, behaupteten sich die Waldenser länger und hartnäckiger. Dazu kamen neue Häresien, manchmal in Gestalt einzelner als ketzerisch empfundener Lehrmeinungen, häufig aber auch in Form von massenhaften religiösen Bewegungen: verketzerte Beginen und Begarden, Spiritualen oder Fraticellen, die mit ihrer geistigmystischen Auslegung des Evangeliums, ihrer Endzeiterwartung und ihren radikalen Forderungen nach apostolischer Armut die Grenzen der Orthodoxie überschritten; später in England die Lollarden und in Böhmen die Hussiten mit ihrer Kritik an Papstkirche und Klerus. Die Inquisition bezog freilich nicht nur gegen Häretiker im engen Sinn Stellung, sondern dehnte die Definition der unter ihre Jurisdiktion fallenden Ketzereien sehr weit aus: So beanspruchte sie Zuständigkeit etwa für die Häresien der Juden, die nach Auffassung vieler christlicher Prediger im Talmud das Alte Testament verfälschten und Jesus lästerten, oder für Gotteslästerung, Magie, Zauberei und später Hexerei.
    Trotzdem blieben viele Teile Europas vom Wirken der Inquisition unberührt. So wurden in England keine päpstlich delegierten Ketzerverfolger aktiv. Erst spät wurden dort von König Heinrich IV. 1401 wesentliche Elemente des kontinentalen Ketzerprozesses auf die Insel übertragen. Und selbst danach blieb die Verfolgung von Häretikern in der Hand der Bischöfe. Auch die iberischen Königreiche Kastilien und Leon erfuhren nie denSegen der mittelalterlichen Inquisition, um eine ironische Formulierung Leas aufzugreifen; in Portugal sah es ähnlich aus. Im spanischen Königreich Aragón dagegen, dem südfranzösischen Ketzergebiet unmittelbar benachbart, kämpfte der Generalinquisitor Nicolaus Eymerich O. P. (gest. 1399) mindestens ebensosehr mit konkurrierenden weltlichen und kirchlichen Gewalten wie mit Häretikern. Mehrmals wurde er vom König in die Verbannung geschickt. Dabei hatten die Monarchen im 13. Jahrhundert selbst die päpstliche Inquisition als Instrument zur Ausdehnung ihrer Herrschaftsbefugnisse gegen das eigene Episkopat in Stellung gebracht. Die mittelalterliche Inquisition besaß viele regionale Profile; nur drei können hier näher beleuchtet werden.
    Italien: Norditalien, insbesondere die Lombardei, bildete die Drehscheibe der katharischen Mission vom Balkan in Richtung des Languedoc. Als die Katharer in Frankreich unter Druck kamen, fanden sie in Norditalien einen Schutz- und Rückzugsraum. Und länger als in Frankreich konnten sie sich im späten 13. und 14. Jahrhundert in Italien behaupten. Auch die Waldenser und andere häretische Bewegungen hatten in Norditalien, vor allem der Lombardei, ihre Hochburgen. Die für mittelalterliche Verhältnisse außergewöhnliche urbane Verdichtung des nord- und mittelitalienischen Raumes schuf den idealen Nährboden für religiöse Bewegungen ganz

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