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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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stürmte die Straße hinunter. Die wütenden Stimmen hinter mir wurden schwächer. An der ersten Ecke rannte ich nach links, damit ich außerhalb ihrer Sichtweite war, kürzte über einen matschigen Hof ab, wo gackernde Hennen vor mir flohen, lief dann über einen offenen Platz, auf dem mehrere Frauen an einer Pumpe Schlange standen, um Wasser zu holen. Als ich an ihnen vorbeieilte, sahen sie mir nach. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf:
Hey, wo war die Wartende Frau geblieben?
Ich hatte jedoch keine Zeit, darüber nachzudenken, da ich auf eine niedrige Mauer zusteuerte und mich darauf konzentrieren musste, hinüberzuspringen – Hand aufsetzen, Beine hoch, rüberschwingen. Ich landete auf einem belebten Weg und wäre beinahe von einem schnellen Karren überfahren worden. Der Fahrer schrie irgendetwas Abfälliges über meine Mutter, während die Flanke des Pferdes meine Brust streifte, sich Hufabdrücke und die Radspur nur Zentimeter vor meinen Zehen in den Schotter gruben.
    Was hatte das alles zu bedeuten? Ich verstand lediglich zwei Dinge: dass ich mit ziemlicher Sicherheit dabei war, den Verstand zu verlieren, und dass ich von diesen Leuten fortkommen musste, bis ich Gewissheit hatte, dass dem so war. Ich rannte in eine Gasse, am Ende von zwei Häuserreihen. Dort hoffte ich, unauffällig aus dem Dorf hinauszugelangen. Ich verlangsamte mein Tempo, weil ich dachte, dass ein mit Schlamm und Gipsstaub verschmutzter amerikanischer Junge weniger auffiel, wenn er nicht rannte.
    Ich winkte einer Frau zu, die Wäsche aufhängte, aber wie alle anderen starrte sie mich nur an. Ich ging schneller.
    Plötzlich hörte ich hinter mir ein merkwürdiges Geräusch und verschwand schnell in einem Klohäuschen. Während ich dort hinter der halbgeschlossenen Tür ausharrte, wanderte mein Blick über die bekritzelten Wände.
    Dolley ist ein Scheiße liebender Arschficker.
    Wie, ohne Zucker?
    Schließlich lief draußen ein Hund vorbei, gefolgt von einem Wurf kläffender Welpen. Ich atmete auf und entspannte mich ein bisschen. Dann fasste ich mir ein Herz und trat wieder hinaus in die Gasse.
    Jemand packte mich am Schopf. Bevor ich auch nur die Chance hatte, zu schreien, kam eine Hand von hinten und presste etwas Scharfes an meine Kehle.
    »Schrei, und ich schneide dir die Gurgel durch«, zischte eine Stimme.
    Mein Angreifer stieß mich gegen die Wand des Klohäuschens und drehte mich herum, damit er mich ansehen konnte. Zu meiner großen Überraschung war es nicht etwa einer der Männer aus dem Pub. Es war das Mädchen. Sie trug ein schlichtes weißes Kleid und sah mich mit ernster Miene an. Obwohl sie sich bemühte, den Eindruck zu vermitteln, dass sie keinerlei Skrupel hatte, mir die Kehle aufzuschlitzen, stellte ich fest, dass sie ein auffallend hübsches Gesicht hatte.
    »Was bist du?«, zischte sie.
    »Ich – äh – ich bin Amerikaner«, stammelte ich und war mir nicht sicher, wonach sie eigentlich fragte. »Ich heiße Jacob.«
    Sie drückte das Messer fester an meine Kehle. Ihre Hand zitterte. Sie hatte Angst, was bedeutete, dass sie gefährlich war. »Was wolltest du in dem Haus?«, fragte sie. »Warum verfolgst du mich?«
    »Ich wollte nur mit dir reden! Tu mir nichts!«
    Sie warf mir einen verächtlichen Blick zu. »Worüber wolltest du mit mir reden?«
    »Über das Haus – und über die Menschen, die dort gelebt haben.«
    »Wer hat dich geschickt?«
    »Mein Großvater. Sein Name war Abraham Portman.«
    Ihr blieb der Mund offen stehen. »Du lügst!«, zischte sie, und ihre Augen blitzten. »Glaubst du, ich weiß nicht, was du bist? Ich bin doch nicht von vorgestern! Mach die Augen auf. Ich will deine Augen sehen!«
    »Ich sage die Wahrheit!« Ich riss die Augen auf, so weit ich konnte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und starrte hinein. Dann stampfte sie mit dem Fuß auf und schrie: »Nein, deine
echten
Augen! Diese falschen Dinger täuschen mich genauso wenig wie deine lächerlichen Lügen über Abe.«
    »Es ist keine Lüge – und das
sind
meine Augen!« Sie presste das Messer so fest gegen meine Luftröhre, dass ich kaum atmen konnte. Ich war froh, dass das Ding stumpf war, sonst hätte sie mir längst ins Fleisch geschnitten. »Hör zu, ich bin nicht das, wofür auch immer du mich hältst«, krächzte ich. »Ich kann es beweisen!«
    Der Druck an meinem Hals ließ ein wenig nach. »Dann beweise es, oder ich tränke das Gras mit deinem Blut.«
    »Ich habe hier etwas.« Vorsichtig langte ich in meine

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