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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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mir unbekannte Stimme: »Wo willst du denn hin?«
    Einen Fuß bereits auf der untersten Stufe, wandte ich mich um und sah, dass mich der Wirt von oben bis unten musterte. Aber es war nicht Kev, sondern ein griesgrämiger, rundgesichtiger Mann, den ich nicht kannte. Er hatte eine Schürze umgebunden, buschige, zusammengewachsene Augenbrauen und einen gezwirbelten Schnäuzer, der sein Gesicht in zwei Hälften teilte.
    Ich hätte antworten können: Ich gehe nach oben, meinen Koffer packen. Und wenn mich mein Dad nicht sofort nach Hause bringen will, werde ich so tun, als hätte ich einen Anfall. Stattdessen sagte ich nur: »Ich will hoch in mein Zimmer.«
    »Tatsächlich?« Er stellte das Glas ab, das er gerade gefüllt hatte. »Sieht das hier für dich nach einem Hotel aus?«
    Holz knarrte, als sich die Gäste auf ihren Stühlen umdrehten, um mich anzusehen. Ich ließ meinen Blick über die Gesichter wandern. Keines kam mir bekannt vor.
    Ich habe einen psychotischen Schub, dachte ich. Jetzt in diesem Moment. So muss sich ein psychotischer Schub anfühlen. Aber ich spürte nichts. Ich hatte weder feuchte Handflächen, noch sah ich Blitze. Es war eher so, als würde nicht ich, sondern die Welt um mich herum verrücktspielen.
    Offenbar lag ein Missverständnis vor. »Mein Dad und ich haben oben Zimmer gemietet«, sagte ich. »Hier, sehen Sie, ich habe den Schlüssel.« Ich zog ihn aus der Hosentasche.
    »Zeig mal her«, befahl der Mann und beugte sich über den Tresen, um ihn mir aus der Hand zu nehmen. Er hielt ihn gegen das schummrige Licht und beäugte ihn wie ein Juwel. »Der ist nicht von uns«, brummte er und steckte ihn ein. »Und jetzt verrätst du mir, was du wirklich da oben wolltest. Und dieses Mal, ohne zu lügen.«
    Meine Wangen begannen zu glühen. Nie zuvor hatte mich jemand, der nicht mit mir verwandt war, als Lügner bezeichnet. »Ich habe es schon gesagt. Wir haben hier Zimmer gemietet. Fragen Sie doch Kev, wenn Sie mir nicht glauben!«
    »Ich kenne keinen Kev, und ich mag es nicht, wenn man mir Lügengeschichten auftischt«, antwortete der Mann mit eisiger Stimme. »Da oben gibt es keine Räume zu vermieten, und der Einzige, der da wohnt, bin ich!«
    Ich schaute mich um und erwartete, dass irgendjemand anfing zu grinsen und ich mitlachen durfte. Aber die Gesichter der Männer waren wie versteinert.
    »Er ist Amerikaner«, sagte einer von ihnen, der stolz einen gewaltigen Bart zur Schau trug. »Vielleicht aus der Army.«
    »Schwachsinn«, grunzte ein anderer. »Sieh ihn dir doch an. Der hängt noch an der Brust.«
    »Aber ganz schön geschniegelt«, sagte der Bärtige und streckte den Arm aus, um den Stoff meiner Klamotten zu befühlen. »So was findest du im Laden nicht so leicht. Ist bestimmt von der Army.«
    »Hört zu«, sagte ich. »Ich bin nicht in der Armee, und ich will euch auch nicht auf den Arm nehmen. Ich will nur auf meinen Dad warten, mein Zeug holen und –«
    »Amerikaner, ach du Scheiße!«, brüllte ein dicker Mann. Er stemmte seinen beachtlichen Körper vom Stuhl hoch und stellte sich zwischen mich und die Tür, in deren Richtung ich langsam zurückgewichen war. »Sein Akzent ist der reinste Müll. Jede Wette, dass er ein deutscher Spion ist!«
    »Ich bin kein Spion!«, entgegnete ich matt. »Ich habe mich nur verirrt.«
    »Kann man wohl sagen«, antwortete der Kerl mit einem Lachen. »Ich schlage vor, dass wir die Wahrheit auf die altbewährte Weise aus ihm rausholen. Mit einem Strick!«
    Lallende Zustimmung. Ich wusste nicht, ob sie es ernst meinten oder mich nur veräppelten, hatte jedoch keine große Lust, hierzubleiben, um es in Erfahrung zu bringen. Ein klarer Instinkt bahnte sich einen Weg durch das Chaos der Ängste in meinem Gehirn: Lauf weg! Es würde um einiges leichter sein, herauszufinden, was hier vor sich ging, wenn ich mich nicht mehr in einem Raum voller Betrunkener befände, die damit drohten, mich zu lynchen. Wegzulaufen war natürlich wie ein Schuldeingeständnis – aber das war mir egal.
    Ich versuchte, um den dicken Mann herumzugehen.
    Er wollte mich packen, aber langsam und betrunken kommt man nicht an gegen jemanden, der schnell ist und sich vor Angst fast in die Hose macht. Ich täuschte links an und lief dann rechts an ihm vorbei. Er heulte wütend auf, und die übrigen Kerle lösten sich von ihren Stühlen, um sich auf mich zu stürzen. Aber ich schlüpfte ihnen durch die Finger, rannte zur Tür hinaus, hinein in den strahlenden Mittag.
    * * *
    Ich

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