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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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darauf sah ich, wie sich die Hand des Zentauren bewegte. Ich starrte durch die Scheibe, konnte den Blick nicht von dem grünen Fleck lösen und dachte, es müsse am Wind liegen. Aber dann krümmten sich seine Finger, als erwachten sie zum Leben. Staunend sah ich, wie sich der riesige Arm des Zentauren beugte, in seine Brust griff, den Ball herauszog und den jubelnden Kindern zuwarf. Während das Spiel wieder aufgenommen wurde, gab das Mädchen mit der wilden Mähne den Schwanz des Zentauren frei, der daraufhin starr wurde wie zuvor.
    Die Scheibe neben mir beschlug von Millards Atem. Staunend wandte ich mich ihm zu. »Ich möchte ja nicht unhöflich sein«, sagte ich. »Aber was für ein Volk seid ihr eigentlich?«
    »Wir sind besonders«, antwortete er und klang erstaunt. »Du etwa nicht?«
    »Keine Ahnung. Ich glaube nicht.«
    »Das ist aber schade.«
    »Warum hast du ihn losgelassen?«, fragte eine Stimme hinter uns. Ich drehte mich um und sah Emma im Türrahmen stehen. »Ach, egal«, fuhr sie fort und kam zu mir, um sich das Seil zu schnappen. »Komm mit. Die Headmistress will dich sehen.«
    * * *
    Wir gingen durch das Haus, an neugierigen Augen vorbei, die durch Türspalten und hinter Sofas herspähten, und betraten ein sonniges Wohnzimmer. Auf einem kunstvollen persischen Teppich stand ein Sessel mit hoher Rückenlehne, in dem eine vornehme Dame saß und strickte. Sie war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, das Haar hochgesteckt zu einem perfekten Knoten, mit Spitzenhandschuhen und einer Bluse mit Stehkragen, der am Hals fest geschlossen war – ebenso akkurat wie das ganze Haus. Ich konnte mir denken, wer sie war. Das war Miss Peregrine.

    Emma führte mich auf den Teppich und räusperte sich. Das gleichmäßige Klappern von Miss Peregrines Stricknadeln verstummte.
    »Guten Tag«, sagte die Dame und blickte hoch. »Du musst Jacob sein.«
    Emma sah sie erstaunt an. »Woher wissen Sie das?«
    »Mein Name ist Headmistress Peregrine«, sagte sie und legte den Zeigefinger an die Lippen, um Emma am Reden zu hindern, »oder, wenn es dir lieber ist – du stehst ja nicht unter meiner Obhut –, einfach Miss Peregrine. Es freut mich, dich endlich kennenzulernen.«
    Miss Peregrine streckte die behandschuhte Hand in meine Richtung. Als ich sie nicht ergriff, bemerkte sie die Fesseln um meine Gelenke.
    »Miss Bloom!«, rief sie. »Was hat das zu bedeuten? Behandelt man so einen Gast? Binde ihn sofort los.«
    »Aber Headmistress, er ist ein Spion und Lügner und ich weiß nicht, was sonst noch!« Emma warf mir einen misstrauischen Blick zu und flüsterte Miss Peregrine etwas ins Ohr.
    »Aber, Miss Bloom!« Miss Peregrine lachte schallend. »Was für ein grenzenloser Unsinn. Wenn dieser Junge ein Wight wäre, würdest du längst in seinem Suppenkessel schmoren. Natürlich ist er Abraham Portmans Enkel. Sieh ihn dir doch nur an!«
    Ich spürte große Erleichterung. Vielleicht würde ich meine Anwesenheit gar nicht erklären müssen. Sie hatte mich offenbar erwartet.
    Emma protestierte, aber Miss Peregrine brachte sie mit einem strafenden Blick zum Schweigen. »Na gut.« Emma seufzte. »Aber sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.« Sie zog ein paarmal an dem Knoten, und das Seil löste sich.
    »Du musst es Miss Bloom nachsehen«, sagte Miss Peregrine, während ich mir die wunden Handgelenke rieb. »Sie hat einen Hang zum Dramatischen.«
    »Ist mir nicht entgangen.«
    Emma verzog unmutig das Gesicht. »Wenn er der ist, der er zu sein behauptet, warum hat er dann keine Ahnung von Zeitschleifen – und wusste nicht einmal, in welchem Jahr er sich befindet? Na los, fragen Sie ihn!«
    »Warum
weiß
er es nicht«, korrigierte Miss Peregrine. »Und die einzige Person in diesem Raum, die ich befragen werde, bist du – morgen Nachmittag, über die korrekte Verwendung der Zeitformen!«
    Emma stöhnte.
    »Und wenn es dir nichts ausmacht«, fuhr Miss Peregrine fort, »würde ich mich gern unter vier Augen mit Master Portman unterhalten.«
    Offenbar wusste Emma, dass Widerspruch zwecklos war. Sie seufzte und ging zur Tür. Bevor sie den Raum verließ, warf sie mir jedoch über die Schulter hinweg einen letzten Blick zu. In ihrem Gesicht las ich etwas, das ich zuvor nicht bei ihr gesehen hatte: Besorgnis.
    »Das gilt auch für dich, Master Nullings!«, rief Miss Peregrine. »Höfliche Menschen lauschen nicht, wenn andere sich unterhalten!«
    »Ich war nur noch hier, um zu fragen, ob Sie vielleicht Tee möchten«,

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