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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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antwortete Millard, und ich bekam den Eindruck, dass er ein ganz schöner Schlawiner war.
    »Möchten wir nicht, danke«, antwortete Miss Peregrine kurz angebunden. Ich hörte Millards nackte Füße über den Holzboden schlurfen. Dann schwang die Tür hinter ihm zu.
    »Ich würde dich ja bitten, Platz zu nehmen«, sagte Miss Peregrine und deutete auf einen bequemen Sessel. »Aber du bist zu schmutzig.« Also kniete ich mich auf den Fußboden und kam mir vor wie ein Pilger, der ein allwissendes Orakel um Rat bittet.
    »Du bist jetzt schon ein paar Tage auf der Insel«, begann Miss Peregrine. »Warum besuchst du uns erst jetzt?«
    »Ich war schon einmal hier. Da wusste ich aber noch nicht, dass Sie noch hier sind«, antwortete ich. »Aber woher wissen Sie, dass
ich
hier bin?«
    »Ich habe dich beobachtet. Du hast mich auch gesehen, es war dir vielleicht nur nicht klar. Ich hatte meine andere Gestalt angenommen.« Sie griff nach oben und zog eine lange graue Feder aus ihrem Haar. »Wenn man Menschen beobachtet, tut man gut daran, die Gestalt eines Vogels anzunehmen«, erklärte sie.
    Mir fiel die Kinnlade runter. »Das waren
Sie
heute Morgen in meinem Zimmer?«, rief ich. »Der Habicht?«
    »Der Falke«, korrigierte sie. »Ein Peregrinus selbstverständlich.«
    »Dann stimmt es also«, staunte ich. »Sie
sind
der Vogel!«
    »Ein Spitzname, den ich toleriere, aber nicht gutheiße«, antwortete sie. »Und jetzt zu meiner Frage«, fuhr sie fort. »Was in aller Welt hast du in dieser deprimierenden Ruine gesucht?«
    »Sie«, antwortete ich, und sie öffnete überrascht die Augen. »Ich wusste nicht, wie ich Sie finden sollte. Ich habe erst gestern erfahren, dass alle aus dem Haus …« Ich machte eine kurze Pause, weil mir plötzlich klar wurde, wie seltsam meine nächsten Worte klingen mussten. »Ich wusste nicht, dass alle tot sind.«
    Sie schenkte mir ein strenges Lächeln. »Du meine Güte. Hat dein Großvater dir denn gar nichts über seine alten Freunde erzählt?«
    »Ein paar Dinge schon. Aber lange Zeit habe ich seine Geschichten für Märchen gehalten.«
    »Verstehe«, antwortete sie.
    »Ich hoffe, das kränkt Sie nicht.«
    »Es überrascht mich nur ein bisschen. Im Allgemeinen bevorzugen wir es, wenn man genau so über uns denkt. Das hält ungebetene Besucher fern. Heutzutage glauben immer weniger Menschen an Feen, Kobolde und so etwas, und deshalb unternimmt kaum noch jemand große Anstrengungen, uns ausfindig zu machen. Das macht unser Leben um einiges einfacher. Gespenstergeschichten und furchteinflößende alte Häuser haben uns ebenfalls gute Dienste erwiesen – wenn auch nicht in deinem Fall.« Sie lächelte. »Heldenhaftigkeit muss bei dir in der Familie liegen.«
    »Ja, vermutlich«, stimmte ich mit einem nervösen Lachen zu und fühlte mich einer Ohnmacht nahe.
    »Also, was diesen Ort betrifft« – sie breitete die Arme aus –, »hast du als Kind geglaubt, dein Großvater würde sich alles ausdenken und dir Lügen auftischen. Habe ich recht?«
    »Nicht gerade Lügen, aber –«
    »Erfundene Geschichten, Fantastereien – wie auch immer du es nennen willst. Wann ist dir klar geworden, dass Abraham die Wahrheit sagt?«
    »Nun ja«, murmelte ich und betrachtete das Labyrinth ineinander verwobener Muster auf dem Teppich, »ich glaube, das wird mir erst jetzt klar.«
    Miss Peregrine wurde blass. »Ich verstehe.«
    »Er wollte mir bestimmt alles erklären«, sagte ich. »Aber er hat zu lange gewartet. Also schickte er mich stattdessen her, damit ich Sie finde.« Ich zog den zerknitterten Brief aus der Hosentasche. »Der ist von Ihnen. So habe ich hierhergefunden.«
    Sie glättete den Brief vorsichtig auf der Lehne ihres Sessels, hielt das Blatt dann hoch und bewegte beim Lesen die Lippen. »Wie würdelos! Ich habe förmlich um eine Antwort gebettelt.« Sie schüttelte den Kopf und wirkte einen Moment lang wehmütig. »Wir haben immer verzweifelt auf Nachricht von Abe gewartet. Einmal habe ich ihn gefragt, ob er eigentlich will, dass ich mich zu Tode ängstige. Aber er hat darauf beharrt, draußen in der Öffentlichkeit zu leben. Er konnte so verteufelt stur sein!«
    Sie faltete den Brief und schob ihn wieder in den Umschlag. Die Ahnung schien wie eine dunkle Wolke über ihr zu schweben. »Er ist von uns gegangen, nicht wahr?«
    Ich nickte. Zögernd erzählte ich ihr, was passiert war. Das heißt, ich erzählte ihr die Geschichte, auf die sich die Cops geeinigt hatten und die ich – nach etlichen

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