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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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Bezeichnung 3 . September 1940 .«
    Ich beugte mich über den Tisch nach vorn. »Wie meinen Sie das? Es ist nur der eine Tag? Er wiederholt sich?«
    »Wieder und wieder, wobei unser Erleben dieses Tages fortlaufend ist. Sonst könnten wir uns nicht an die letzten, oh, siebzig Jahre erinnern, die wir jetzt schon hier sind.«
    »Verblüffend«, sagte ich.
    »Natürlich waren wir schon mindestens ein Jahrzehnt lang
vor
dem 3 . September 1940 auf Cairnholm – physisch isoliert, dank der einzigartigen Geographie der Insel. Aber seit jenem Tag wurde es notwendig, dass wir uns auch zeitlich abgrenzten.«
    »Warum?«
    »Weil wir sonst alle getötet worden wären.«
    »Durch die Bombe.«
    »Zweifellos.«
    Ich starrte auf die Tischplatte. Plötzlich ergab alles Sinn – zumindest ansatzweise. »Existieren außer dieser noch andere Zeitschleifen?«
    »Viele«, sagte sie. »Und fast alle Ymbrynes, die sie betreuen, sind Freunde von mir. Lass mal überlegen: Es gibt Miss Gannett in Irland, Juni 1770 , Miss Nightjar in Swansea am 3 . April 1901 , Miss Avocet und Miss Bunting zusammen in Derbyshire am Saint Swithins’s Day 1867 , Miss Treecreeper, ich weiß nicht mehr genau, wo – oh, und die liebe Miss Finch. Irgendwo habe ich ein hübsches Foto von ihr.«
    Miss Peregrine zerrte ein wuchtiges Fotoalbum aus dem Regal und legte es vor mir auf den Tisch. Sie beugte sich über meine Schulter und blätterte die steifen Seiten um. Offenbar suchte sie nach einem bestimmten Bild, aber sie verweilte immer wieder bei verschiedenen Aufnahmen, und ihre Stimme bekam einen verträumten Klang. Ich sah Fotos, die ich aus dem Koffer und aus Großvaters Zigarrenkiste kannte. Miss Peregrine hatte sie alle gesammelt. Es war sonderbar, sich vorzustellen, dass sie dieselben Fotos vor vielen Jahren meinem Großvater gezeigt hatte. Er musste damals in meinem Alter gewesen sein. Vielleicht war es sogar hier in diesem Raum, an diesem Tisch gewesen – und jetzt zeigte sie die Bilder mir, als wäre ich in die Vergangenheit gereist.
    Schließlich kam sie zum Foto einer entrückt wirkenden Frau, auf deren Hand sich ein aufgeplusterter Vogel niedergelassen hatte. »Das ist Miss Finch und ihr Tantchen, Miss Finch«, sagte sie. Die Frau und der Vogel schienen miteinander zu kommunizieren.
    »Wie können Sie die beiden auseinanderhalten?«, fragte ich.
    »Die ältere Miss Finch bevorzugte es, die meiste Zeit ein Fink zu sein. Was auch gut war. Sie war nie sonderlich gesprächig.«
    Miss Peregrine blätterte ein paar Seiten weiter. Dieses Mal landete sie bei einer Gruppenaufnahme von Frauen und Kindern, die mit ernsten Mienen um einen Papiermond versammelt waren.
    »Ach ja! Das hatte ich ganz vergessen.« Sie löste das Foto aus den Halterungen und hielt es ehrfurchtsvoll in die Höhe. »Die Dame da vorn, das ist Miss Avocet. Wenn wir eine Königin hätten, wäre sie es. Fünfzig Jahre lang wurde versucht, sie zum Oberhaupt des Council of Ymbrynes zu wählen, aber sie hätte nie das Unterrichten an der Schule aufgegeben, die sie zusammen mit Miss Bunting gegründet hat. Heutzutage hat keine Ymbryne Flügel verdient, die nicht irgendwann einmal unter der Vormundschaft von Miss Avocet stand, einschließlich mir! Wenn du genau hinsiehst, erkennst du vielleicht das kleine Mädchen mit der Brille.«
    Ich blinzelte. Das Gesicht, auf das sie zeigte, war dunkel und leicht verschwommen. »Sind Sie das?«
    »Ich war eine der Jüngsten, die Miss Avocet je aufgenommen hat«, erklärte sie stolz.

    »Was ist mit den Jungs auf dem Bild?«, fragte ich. »Die wirken noch jünger als Sie.«
    Miss Peregrines Miene verdüsterte sich. »Du meinst meine missratenen Brüder. Statt uns zu trennen, wurden sie mit mir auf die Akademie geschickt. Die beiden wurden verhätschelt wie zwei Prinzen. Ich wage zu behaupten, dass sie deshalb so missraten sind.«
    »Sie waren keine Ymbrynes?«
    »Natürlich nicht!«, schnaubte sie. »Nur Frauen sind geborene Ymbrynes, und dem Himmel sei Dank dafür! Männern mangelt es an ernstem Gemüt, das für Personen mit solch schwerwiegender Verantwortung unabdingbar ist. Wir Ymbrynes müssen das Land nach besonderen Kindern in Not absuchen, uns von jenen fernhalten, die uns schaden können, unsere Schützlinge mit Kleidung und Essen versorgen, sie verstecken und das überlieferte Wissen unserer Leute an sie weitergeben. Und als wäre das noch nicht genug, müssen wir dafür sorgen, dass sich unsere Zeitschleifen jeden Tag wie ein Uhrwerk wieder

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