Die Insel der besonderen Kinder
Beschreibungen halbwegs vertraut. Als ich das Esszimmer betrat, blieben die Kinder, die sich bis dahin lautstark um die Plätze entlang des Tisches gestritten hatten, ruckartig stehen und starrten mich an. Mich überkam das Gefühl, dass sie nicht gerade oft Gäste zum Essen hatten. Miss Peregrine, die bereits am Kopfende saß, stand auf und nutzte die plötzliche Stille, um mich vorzustellen.
»Für diejenigen von euch, die noch nicht das Vergnügen hatten, ihn kennenzulernen«, verkündete sie, »das ist Abrahams Enkel Jacob. Er ist unser Ehrengast und hat einen weiten Weg zurückgelegt, um hier zu sein. Ich hoffe, ihr werdet ihn gebührend behandeln.« Dann zeigte sie der Reihe nach auf jeden und nannte den Namen. Die meisten vergaß ich sofort wieder, so geht es mir immer, wenn ich nervös bin. Die Kinder stellten Fragen, die Miss Peregrine mit der Geschwindigkeit eines Maschinengewehrs parierte.
»Bleibt Jacob bei uns?«
»Darüber ist mir nichts bekannt.«
»Wo ist Abe?«
»Hat in Amerika zu tun.«
»Warum hat Jacob Victors Hose an?«
»Victor braucht sie nicht mehr, und die Kleidung von Master Portman muss gewaschen werden.«
»Was tut Abe in Amerika?«
In dem Moment sah ich, wie Emma, die mit finsterer Miene in einer Ecke gesessen hatte, aufstand und aus dem Zimmer marschierte. Die anderen waren offenbar an ihre Launen gewöhnt und beachteten sie nicht.
»Macht euch keine Gedanken, womit sich Abe beschäftigt«, befahl Miss Peregrine.
»Wann kommt er zurück?«
»Auch das braucht euch nicht zu interessieren. Und jetzt lasst uns essen!«
Die Kinder setzten sich. Ich hatte einen freien Platz entdeckt, aber als ich mich niederlassen wollte, pikte mir eine Gabel in den Oberschenkel.
»Verzeihung!«, rief Millard. Miss Peregrine sorgte dafür, dass ich den Platz bekam, indem sie ihn fortschickte, damit er sich etwas anzog.
»Wie oft muss ich es dir noch sagen?«, rief sie ihm nach. »Höfliche Menschen nehmen ihr Abendbrot nicht nackt zu sich!«
Die Kinder, die heute Küchendienst hatten, trugen große Tabletts herein, die alle mit glänzenden silbernen Hauben abgedeckt waren, so dass man nicht sehen konnte, was sich darunter verbarg. Das führte zu wilden Spekulationen darüber, was es zu essen geben würde.
»Otter Wellington!«, rief ein Junge.
»Gepökeltes Kätzchen und Mäuseleber!«, sagte ein anderer, woraufhin die jüngeren Kinder anfingen, würgende Geräusche von sich zu geben. Als die Hauben schließlich gelüftet wurden, enthüllten sie ein wahrhaft königliches Mahl: eine gebratene Gans von perfekter goldbrauner Farbe, einen ganzen Lachs und einen ganzen Kabeljau, beide garniert mit Zitrone, frischem Dill und schmelzender Butter. Eine Schüssel voller dampfender Muscheln, Platten mit gegrilltem Gemüse, vom Backen noch warme Brotlaibe sowie alle möglichen Soßen, die ich nicht kannte, die jedoch köstlich aussahen. Alles glänzte einladend im Schein der Gaslampe, Welten entfernt von den fettigen Schmorgerichten undefinierbarer Zusammensetzung, die ich im Priest Hole heruntergewürgt hatte. Seit dem Frühstück hatte ich nichts mehr gegessen und langte tüchtig zu.
Eigentlich hätte es mich nicht überraschen dürfen, dass besondere Kinder besondere Essgewohnheiten haben. Zwischen Gabeln voller Köstlichkeiten sah ich mich neugierig um. Olive, das schwebende Mädchen, war an einen Stuhl gebunden, der wiederum am Boden festgeschraubt war, damit sie nicht abhob. Um die anderen vor den Insekten zu schützen, aß Hugh – der Junge, in dessen Bauch Bienen lebten – unter einem riesigen Moskitonetz an einem Einzeltisch in der Ecke. Claire, ein puppengesichtiges Mädchen mit perfekten goldblonden Locken, saß neben Miss Peregrine und aß keinen einzigen Krümel.
»Hast du keinen Hunger?«, fragte ich sie.
»Claire isst nicht mit uns zusammen«, antwortete Hugh für sie, wobei eine Biene aus seinem Mund entwich. »Sie geniert sich.«
»Tue ich nicht!«, widersprach sie und warf ihm einen wütenden Blick zu.
»Ach ja? Dann iss doch etwas!«
»Niemand hier schämt sich seiner Gabe«, stellte Miss Peregrine klar. »Miss Densmore bevorzugt es lediglich, allein zu speisen. Nicht wahr, Miss Densmore?«
Das Mädchen starrte auf den leeren Teller vor sich und wünschte unübersehbar, nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.
»Claire hat einen Hintermund«, erklärte Millard, der jetzt in einem Hausrock (und sonst nichts) neben mir saß.
»Einen was?«
»Na los, zeig es ihm«,
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