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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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zurücksetzen.«
    »Und was passiert, wenn sie das nicht tun?«
    Sie hob die zitternde Hand an die Augenbraue, wankte zurück und mimte Entsetzen. »Eine furchtbare Katastrophe! Daran wage ich nicht einmal zu denken. Glücklicherweise ist der Mechanismus, der Zeitschleifen zurücksetzt, sehr simpel: Einer von uns muss von Zeit zu Zeit den Zugangsweg benutzen. Dadurch bleibt er elastisch. Die Eintrittsstelle ist ähnlich einem Loch in frischem Teig, wenn du nicht ab und zu den Finger hineinbohrst, geht das Loch von selbst wieder zu. Und wenn es keine Eintritts- oder Austrittsstelle gibt, kein Ventil, durch das wir den Druck ablassen können, der in einem geschlossenen zeitlichen System entsteht, dann … Puff!« Sie begleitete ihre Worte mit einer Geste, als würde ein Feuerwerkskörper explodieren. »Nun, dann wird das ganze System instabil.«
    Sie beugte sich wieder über das Album und blätterte die Seiten um. »Apropos, vielleicht habe ich ein Foto – ja, da ist es. Eine Eintrittsstelle, wie sie im Buche steht!« Sie zog ein weiteres Bild heraus. »Das ist Miss Finch mit einem ihrer Schützlinge am Eingang zu Miss Finchs Zeitschleife. Er befindet sich in einem wenig benutzten Bereich der Londoner U-Bahn. Wenn sich die Schleife zurücksetzt, füllt sich der Tunnel mit einem wunderschönen Leuchten. Im Vergleich dazu fand ich unseren Eingang immer sehr bescheiden«, sagte sie mit einer Spur von Neid in der Stimme.

    »Nur um sicherzugehen, dass ich Sie richtig verstanden habe«, sagte ich, »wenn heute der 3 . September ist, dann haben wir morgen …
wieder
den 3 . September?«
    »Nun ja, ein paar der vierundzwanzig Stunden dieser Zeitschleife fallen noch auf den 2 . September, aber im Grunde hast du recht.«
    »Es wird also niemals morgen.«
    »Gewissermaßen.«
    Draußen erklang ein entferntes Krachen, das sich anhörte wie widerhallender Donner. Es wurde für einen Moment düster, und das Fenster klapperte im Rahmen. Miss Peregrine blickte hoch und konsultierte erneut ihre Uhr.
    »Ich fürchte, dass ich für den Augenblick keine Zeit mehr habe. Du bleibst doch zum Abendessen?«
    Ich stimmte zu. Dass sich mein Vater vielleicht darüber wunderte, wo ich steckte, kam mir gar nicht in den Sinn. Ich zwängte mich hinter dem Tisch hervor und folgte Miss Peregrine durch die Tür. In dem Moment fiel mir noch eine Frage ein, eine, die mich schon lange Zeit plagte.
    »War mein Großvater wirklich auf der Flucht vor den Nazis, als er herkam?«
    »Das war er«, bejahte sie. »In den schrecklichen Jahren des Krieges kamen viele Kinder zu uns. Es war eine schwierige Zeit voller Unruhen.« Sie wirkte gequält, als wäre die Erinnerung daran noch sehr frisch. »Ich entdeckte Abraham in einem Vertriebenenlager auf dem Festland. Ein armer Junge, der schon viel mitgemacht hatte. Aber er war stark. Ich wusste sofort, dass er zu uns gehört.«
    Ich war erleichtert. Zumindest dieser Teil seines Lebens war so gewesen, wie er immer erzählt hatte. Mir lastete noch eine Frage auf der Seele. Allerdings wusste ich nicht, wie ich sie formulieren sollte.
    »War er – mein Großvater –, war er wie …«
    »Wie wir?«
    Ich nickte.
    Sie lächelte sonderbar. »Er war wie du, Jacob.« Dann wandte sie sich ab und humpelte die Treppe hinunter.
    * * *
    Miss Peregrine bestand darauf, dass ich mich erst von dem Matsch säuberte, bevor ich mich zum Essen an den Tisch setzte, und bat Emma, mir ein Bad einzulassen. Sie hoffte wohl, dass sich Emma besser fühlen würde, wenn sie Gelegenheit erhielt, mit mir zu reden. Emma würdigte mich jedoch keines Blickes. Ich sah zu, wie sie kaltes Wasser in die Wanne laufen ließ und es dann mit ihren bloßen Händen erwärmte. Sie fuhr mit den Fingern hindurch, bis Dampf aufstieg.
    »Wirklich beeindruckend«, sagte ich, aber sie ging, ohne mir eine Antwort zu geben.
    Nachdem ich das Wasser gründlich braun gefärbt hatte, trocknete ich mich ab. An der Tür hing frische Kleidung – schlabberige Tweedhosen, ein Hemd und Hosenträger, die viel zu kurz waren. Leider bekam ich nicht heraus, wie man sie verstellt. Folglich musste ich die Hose entweder um die Knöchel oder hochgezogen bis zum Brustkorb tragen. Letzteres schien mir das kleinere Übel zu sein. Angezogen wie ein Clown, ging ich hinunter, um an der sonderbarsten Mahlzeit meines Lebens teilzunehmen.
    Das Abendessen erlebte ich wie in einem schwindelerregenden Nebel von Namen und Gesichtern. Viele von ihnen waren mir durch Fotos oder Großvaters

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