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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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stieg vor ihm auf wie Dampf an einem kalten Morgen.
    »Jacob! Ich habe dich überall gesucht!«
    »Du hast gesagt, ich soll zum Abendessen zurück sein, und da bin ich.«
    »Vergiss das Abendessen. Komm mit.«
    Mein Vater verpasste sonst nie das Essen. Irgendetwas stimmte nicht.
    »Was ist los?«
    »Das erklär ich dir unterwegs«, sagte er und ging vor mir her zum Pub. Dann warf er mir einen langen Blick zu. »Du bist ja völlig durchnässt!«, rief er. »Um Gottes willen, hast du deine andere Jacke etwa auch verloren?«
    »Ich, äh …«
    »Und warum ist dein Gesicht so rot? Du siehst aus, als hättest du Sonnenbrand.«
    Mist. Ein ganzer Nachmittag am Strand ohne Sonnencreme. »Mir ist warm vom Laufen«, behauptete ich, obwohl ich eine Gänsehaut auf den Armen hatte. »Was ist denn passiert? Ist jemand gestorben oder was?«
    »Nein«, antwortete er. »Oder doch, irgendwie schon. Ein paar Schafe.«
    »Und was hat das mit uns zu tun?«
    »Sie denken, dass es Jugendliche waren. Aus reiner Zerstörungswut.«
    »Wer ›sie‹? Die Schafspolizei?«
    »Die Farmer«, antwortete er. »Sie befragen alle unter zwanzig. Und natürlich sind sie sehr daran interessiert, wo du den ganzen Tag gewesen bist.«
    Mir rutschte das Herz in die Hose. Ich hatte kein wasserfestes Alibi, und während wir uns dem Priest Hole näherten, versuchte ich, mir im Eiltempo eines zurechtzulegen.
    Draußen vor dem Pub hatten sich eine Menge Leute um ein paar ziemlich sauer wirkende Schafzüchter versammelt. Einer trug einen schmutzigen Overall und stützte sich angriffslustig auf seine Mistgabel. Ein anderer hielt Worm am Kragen gepackt. Worm trug neonfarbene Trainingshosen und ein T-Shirt mit der Aufschrift:
ICH LIEBE ES
,
WENN SIE MICH BIG POPPA RUFEN
.
Er hatte geheult. Der Rotz lief ihm aus der Nase.
    Ein dritter Farmer, spindeldürr und mit einer Strickmütze auf dem Kopf, zeigte jetzt auf mich. »Da ist er ja!«, rief er. »Wo hast du gesteckt?«
    Dad klopfte mir auf den Rücken. »Sag es ihnen«, befahl er zuversichtlich.
    Ich bemühte mich, so zu klingen, als hätte ich nichts zu verbergen. »Ich habe die andere Seite der Insel erkundet. Das große Haus.«
    Strickmütze wirkte verwirrt. »Welches große Haus?«
    »Die beschissene alte Hütte im Wald«, antwortete Mistgabel. »Nur ein ausgewiesener Idiot würde seinen Fuß da reinsetzen. Der Ort ist verhext und obendrein eine Todesfalle.«
    Strickmütze beäugte mich misstrauisch. »Mit
wem
warst du denn in dem großen Haus?«
    »Mit niemandem«, sagte ich und bemerkte, wie Dad mir einen überraschten Blick zuwarf.
    »Schwachsinn! Ich glaube, du warst mit dem hier zusammen«, sagte der Mann, der Worm festhielt.
    »Ich habe noch nie ein Schaf getötet«, heulte Worm.
    »Klappe halten!«, brüllte der Mann.
    »Jake?«, wollte mein Vater wissen. »Was ist mit deinen Freunden?«
    »Oh, Mann, Dad!«
    Strickmütze wandte sich ab und spie aus. »Du kleiner Lügner. Ich sollte dich hier vor den Augen Gottes und aller Anwesenden mit dem Riemen durchprügeln.«
    »Sie rühren ihn nicht an«, sagte Dad mit übertriebener Strenge.
    »Immer mit der Ruhe, Dennis, wir werden das schon klären.« Martin trat aus der Menge und zwängte sich zwischen die Farmer. »Erzählen Sie uns einfach alles, was Ihr Junge Ihnen gesagt hat«, wandte er sich an meinen Vater.
    Dad sah mich wütend an. »Er sagte, er würde sich auf der anderen Seite der Insel mit Freunden treffen.«
    »Was für Freunde?«, fragte Mistgabel.
    Wenn ich nicht sofort drastische Maßnahmen ergriff, würde das hier übel ausgehen. Natürlich konnte ich den Leuten nicht von den Kindern erzählen – abgesehen davon, dass sie mir sowieso nicht glauben würden –, also ging ich ein kalkuliertes Risiko ein und sagte: »Mit niemandem.« Dabei senkte ich in gespielter Scham die Lider. »Sie sind eingebildet.«
    »Was hat er gesagt?«
    »Er hat gesagt, dass es nur eingebildete Freunde sind«, antwortete Dad und klang besorgt.
    Die Farmer tauschten verdutzte Blicke.
    »Seht ihr?«, rief Worm mit einem Anflug von Hoffnung im Gesicht. »Der Bursche ist ein Psychopath. Er
muss
es gewesen sein!«
    »Ich habe die Tiere nicht angerührt«, sagte ich, obwohl mir sowieso niemand zuhörte.
    »Es war nicht der Amerikaner«, sagte der Mann, der Worm festhielt, und packte ihn noch fester am Kragen. »Aber der Bursche hier hat es faustdick hinter den Ohren. Vor ein paar Jahren habe ich ihn dabei beobachtet, wie er ein Lamm mit einem Tritt über die Klippen

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