Die Insel der besonderen Kinder
sagte ich. »So wie gestern mit den Flugzeugen und dem Karren.«
»Millard ist derjenige, der alles weiß«, antwortete Hugh.
»Stimmt«, bestätigte Millard. »Ich bin sogar dabei, den weltweit ersten vollständigen Bericht über einen Tag im Leben eines Ortes zusammenzutragen – und zwar so, wie er von jedem Einzelnen erlebt wird. Jede Handlung, jedes Gespräch, jedes einzelne Geräusch, das von den einhundertneunundfünfzig menschlichen und dreihundertzweiunddreißig tierischen Bewohnern produziert wird – Minute für Minute, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.«
»Das ist unglaublich«, sagte ich.
»Dem kann ich nur zustimmen«, versicherte er. »In nur siebenundzwanzig Jahren habe ich bereits die Hälfte der Tiere und nahezu alle Menschen erfasst.«
Mir blieb der Mund offen stehen. »Siebenundzwanzig
Jahre?
«
»Er hat sich allein drei Jahre lang mit Schweinen beschäftigt!«, sagte Hugh. »Drei Jahre, Tag für Tag Notizen über
Schweine!
Kannst du dir das vorstellen? ›Das da hat einen Riesenhaufen gemacht.‹ ›Dieses da hat
oink-oink
gegrunzt und ist in seinem eigenen Mist eingeschlafen.‹«
»Notizen sind unerlässlich für meine Arbeit«, erklärte Millard geduldig. »Aber ich verstehe deinen Neid, Hugh. Dieses Werk verspricht, in der Geschichte der akademischen Wissenschaft beispiellos zu sein.«
»Ach, jetzt bleib mal auf dem Teppich«, erwiderte Emma. »Es wird auch beispiellos in der Geschichte der blödsinnigsten Dinge sein. Der größte Schwachsinn, der je geschrieben wurde!«
Statt darauf zu antworten, begann Millard, auf Dinge hinzuweisen, die unmittelbar danach tatsächlich eintraten. »Mrs. Higgings bekommt einen Hustenanfall«, sagte er, und schon begann eine Frau auf der Straße zu husten, bis sie rot anlief. Oder: »Gleich wird sich ein Fischer darüber beklagen, wie schwer es ist, in Kriegszeiten seiner Arbeit nachzugehen«, und schon wandte sich ein Mann, der an einem Karren voller Fischernetze lehnte, einem anderen zu und sagte: »In dem Wasser da draußen sind jetzt so verdammt viele U-Boote, dass es für uns nicht mehr sicher ist, unsere Netze raufzuholen!«
Ich war beeindruckt, und das sagte ich Millard auch. »Es freut mich, dass jemand meine Arbeit zu würdigen weiß«, antwortete er.
Wir gingen an dem geschäftigen Hafen vorbei, bis wir die Anlegestellen hinter uns gelassen hatten. Dann folgten wir dem felsigen Ufer in Richtung der Landzunge zu einer Bucht mit Sandstrand. Wir Jungs zogen uns bis auf die Unterwäsche aus (alle außer Horace, der lediglich Schuhe und Krawatte ablegte), während die Mädchen verschwanden, um sich altmodische einteilige Badeanzüge anzuziehen. Dann gingen alle schwimmen. Bronwyn und Emma schwammen um die Wette, während wir anderen nur herumtollten. Nachdem wir uns ausgetobt hatten, legten wir uns an den Sandstrand und hielten ein Schläfchen. Als es uns in der Sonne zu warm wurde, gingen wir wieder ins Wasser, und sobald die eisige See uns frösteln ließ, wärmten wir uns in der Sonne wieder auf. So ging es in einem fort, bis unsere Schatten in der Bucht langsam länger wurden.
Die Kinder hatten eine Million Fragen an mich. Und da Miss Peregrine nicht in der Nähe war, konnte ich sie freiheraus beantworten. Wie sah meine Welt aus? Was aßen, tranken und trugen die Menschen? Hatte die Wissenschaft Krankheiten und Tod endlich besiegt? Die Kinder lebten in einem Paradies, aber sie hungerten nach neuen Gesichtern und Geschichten. Ich erzählte ihnen, was mir gerade einfiel, zermarterte mir mein Hirn auf der Suche nach Höhepunkten des 20 . Jahrhunderts, die ich aus Mrs. Johnstons Geschichtsunterricht kannte: die Landung auf dem Mond! Die Berliner Mauer! Vietnam! Aber letztlich waren es nur Versatzstücke.
Am meisten beeindruckten sie die moderne Technik und der Lebensstandard. Zum Beispiel, dass unsere Häuser klimatisiert waren. Die Kinder hatten auch schon von Fernsehern gehört, aber nie einen zu Gesicht bekommen. Sie waren fassungslos, als ich ihnen erzählte, dass meine Familie in nahezu jedem Zimmer einen dieser sprechenden Bildapparate hatte. Flugreisen waren so üblich und bezahlbar, wie es für diese Kinder das Fahren mit der Bahn war. Unsere Armee setzte im Kampf ferngesteuerte Drohnen ein. Wir hatten Smartphones, die in die Hosentasche passten, und obwohl mein Handy hier nicht funktionierte (nichts Elektrisches schien das zu tun), holte ich es hervor, um ihnen das elegante, glänzende Gehäuse zu zeigen.
Als wir uns
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