Die Insel der besonderen Kinder
meine Worte.
»So sehen sie sich auch selbst«, erwiderte Miss Peregrine gereizt. »Wie würdest du sie denn bezeichnen?«
Das war eine Spitzfindigkeit, über die ich angesichts ihrer Laune nicht mit ihr streiten mochte. »Als Kinder, denke ich.«
»Na bitte. Also, wie ich schon sagte«, fuhr sie fort und verlieh ihren Worten Nachdruck, indem sie mit der Hand leicht auf die Herdplatte schlug, »hältst du es für klug, mit Kindern aus der Vergangenheit über die Zukunft zu sprechen?«
Ich wusste, was sie hören wollte. »Nein.«
»Ah, aber offensichtlich tust du es! Das weiß ich, weil wir gestern beim Abendessen von Hugh mit einer faszinierenden Abhandlung über die Wunder der Telekommunikationstechnologie des 21 . Jahrhunderts unterhalten wurden.« Ihre Stimme troff vor Sarkasmus. »Wusstest du, dass im 21 . Jahrhundert jemand einen Brief, der gerade erst abgeschickt wurde, schon im nächsten Moment erhalten kann?«
»Sie meinen vermutlich eine E-Mail.«
»Nun, Hugh wusste
alles
darüber.«
»Ich verstehe nicht ganz. Ist das ein Problem?«
Sie stieß sich von dem Herd ab und kam einen Schritt auf mich zugehumpelt. Obwohl sie einen Kopf kleiner war als ich, gelang es ihr, einschüchternd zu wirken.
»Als Ymbryne ist es meine heilige Pflicht, diese Kinder zu schützen, und das bedeutet vor allem anderen, sie
hier
– in dieser Zeitschleife – auf dieser Insel zu halten.«
»Okay.«
»Sie können niemals Teil deiner Welt werden, Master Portman. Wozu soll es also gut sein, ihre Köpfe mit Informationen über exotische Wunder der Zukunft zu füllen? Jetzt bettelt die Hälfte der Kinder um eine Flugreise nach Amerika, und die andere Hälfte träumt von dem Tag, an dem sie solch einen Telefoncomputer besitzt wie du.«
»Das tut mir leid. Es war mir nicht bewusst.«
»Das hier ist ihr Zuhause. Ich habe mich nach besten Kräften bemüht, es ihnen hier schön zu machen. Aber Tatsache ist und bleibt, dass die Kinder nicht fortkönnen. Und ich würde es schätzen, wenn du sie nicht dazu bringst, es sich zu wünschen.«
»Aber warum können sie nicht weg?«
Miss Peregrine verengte die Augen, sah mich einen Moment lang sonderbar an und schüttelte dann den Kopf. »Bitte entschuldige. Ich unterschätze immer noch das Ausmaß deiner Unwissenheit.« Da ihr Untätigkeit offenbar ein Greuel war, nahm sie eine Pfanne von der Herdplatte und begann, sie mit einer Stahlbürste zu schrubben.
Mir war nicht klar, ob sie meine Frage ignorieren wollte oder ob sie überlegte, wie sie die Antwort so vereinfachen konnte, dass ich sie verstand.
Als die Pfanne sauber war, stellte sie sie mit einem Scheppern ab und sagte: »Sie können sich nicht in deiner Welt aufhalten, Master Portman, weil sie in kürzester Zeit altern und sterben würden.«
»Was meinen Sie mit ›sterben‹?«
»Ich wüsste nicht, wie ich es noch direkter sagen könnte. Sie würden sterben, Jacob. Es mag dir so vorkommen, als hätten wir einen Weg gefunden, den Tod auszutricksen, aber das ist eine Illusion. Wenn sich die Kinder zu lange auf deiner Seite der Zeitschleife aufhalten, werden all die Jahre, in der die Zeit für sie stillstand, innerhalb weniger Stunden an ihnen wirken.«
Ich dachte unvermittelt an den verschrumpelten Apfel auf meinem Nachtschrank. »Das ist ja furchtbar«, sagte ich schaudernd.
»Die wenigen Male, bei denen ich das mit ansehen musste, gehören zu meinen schlimmsten Erinnerungen. Und lass mich dir versichern, ich lebe schon lange genug, um ein paar wirklich schreckliche Dinge gesehen zu haben.«
»Dann ist es also schon vorgekommen?«
»Bedauerlicherweise bei einem jungen Mädchen, vor etlichen Jahren. Sie hieß Charlotte. Es war das erste und letzte Mal, dass ich eine Reise zu einer Schwester-Ymbryne unternommen habe. In der kurzen Zeit gelang es Charlotte, den älteren Kindern zu entwischen, die auf sie aufpassen sollten, und die Zeitschleife zu verlassen. Es muss 1985 oder 1986 gewesen sein. Charlotte spazierte fröhlich durch das Dorf, als sie von einem Konstabler entdeckt wurde. Da sie nicht erklären konnte, wer sie war oder wo sie herkam – jedenfalls nicht zu seiner Zufriedenheit –, wurde das arme Mädchen in ein Waisenhaus auf dem Festland gebracht. Ich brauchte zwei Tage, um sie zu finden. Zu dem Zeitpunkt war sie bereits um fünfunddreißig Jahre gealtert.«
»Ich glaube, ich habe ihr Bild gesehen«, sagte ich. »Eine erwachsene Frau in Kinderkleidung.«
Miss Peregrine nickte betrübt. »Sie war danach
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