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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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etwas Anstrengenderes zu tun, als in verträumter Bewunderung über das Gelände zu spazieren.
    Nach einem Mittagessen mit Putensandwich und Schokoladenpudding versuchte Emma, die größeren Kinder zu überreden, schwimmen zu gehen. »Ausgeschlossen!« Millard stöhnte. Der oberste Knopf seiner Hose war aufgesprungen. »Ich bin vollgestopft wie eine Weihnachtsgans.« Wir lümmelten uns auf den Samtsesseln im Esszimmer und waren alle bis zum Platzen satt. Bronwyn lag zusammengerollt mit dem Kopf zwischen zwei Kissen. »Ich würde sofort bis auf den Grund sinken«, lautete ihre dumpfe Antwort.
    Aber Emma blieb hartnäckig. Nach zehnminütigem Quengeln hatte sie Hugh, Fiona und Horace aufgescheucht und Bronwyn – die offenbar keinen Wettkampf ausließ – zu einem Wettschwimmen herausgefordert. Als Millard uns aus dem Haus marschieren sah, schimpfte er, dass wir ihn doch wohl nicht zurücklassen wollten.
    Der beste Platz zum Schwimmen war in der Nähe des Hafens. Aber um dorthin zu gelangen, musste man mitten durch den Ort spazieren. »Was ist mit diesen verrückten Betrunkenen, die mich für einen deutschen Spion halten?«, fragte ich. »Mir ist heute nicht danach, wieder mit Mistgabeln verfolgt zu werden.«
    »Du Knalltüte«, sagte Emma. »Das war
gestern.
Die erinnern sich nicht daran.«
    »Häng dir einfach ein Handtuch um, damit sie deine, ähm, futuristische Kleidung nicht sehen«, schlug Horace vor. Ich trug wie immer Jeans und T-Shirt, und Horace hatte wie üblich seinen schwarzen Anzug an. In Bezug auf Mode schien er den gleichen Geschmack wie Miss Peregrine zu haben: stets ultraformell. Sein Foto war ebenfalls in dem zerschmetterten Koffer gewesen. Er hatte sich für die Aufnahme offenbar »in Schale geworfen« und war übers Ziel hinausgeschossen: Zylinder, Gehstock, Monokel – das volle Programm.
    »Du hast recht«, sagte ich und sah ihn schräg von der Seite an. »Ich möchte schließlich nicht, dass jemand denkt, ich sei sonderbar gekleidet.«
    »Falls du damit auf meine Weste anspielst«, erwiderte er hochmütig, »gebe ich gern zu, modebewusst zu sein.« Die anderen kicherten. »Na los, amüsiert euch ruhig auf Kosten des alten Horace! Nennt mich von mir aus einen Dandy. Aber nur, weil sich die Dorfbewohner sowieso nicht daran erinnern werden, was ihr getragen habt, ist das noch lange kein Grund, herumzulaufen wie Landstreicher!« Energisch zog er seine Rockaufschläge glatt, womit er eine weitere Lachsalve auslöste. Frustriert zeigte er mit dem Finger auf meine Kleidung. »Was ihn angeht – Gott helfe uns, wenn
das
alles ist, was unsere Kleiderschränke in der Zukunft erwartet.«

    Als sich das Lachen legte, zog ich Emma zur Seite und flüsterte: »Was genau macht Horace eigentlich besonders – abgesehen von seiner Kleidung?«
    »Er hat prophetische Träume. Er leidet manchmal unter Alpträumen, die eine beunruhigende Neigung haben, wahr zu werden.«
    »Wie oft denn? Sehr oft?«
    »Frag ihn selbst.«
    Aber Horace war nicht in der Stimmung, meine Fragen zu beantworten. Also verschob ich es auf ein anderes Mal.
    Als wir den Ort erreichten, wickelte ich mir ein Handtuch um die Hüfte und legte mir ein anderes um die Schultern. Obwohl das nicht gerade als prophetische Leistung zu bezeichnen war, hatte Horace mit einer Sache völlig recht gehabt: Niemand erkannte mich. Als wir die Hauptstraße entlangspazierten, ernteten wir ein paar sonderbare Blicke, aber niemand behelligte uns. Wir gingen sogar an dem dicken Mann vorbei, der im Pub wegen mir einen Aufstand gemacht hatte. Er stand draußen vor dem Tabakwarenladen und stopfte seine Pfeife. Dabei gab er leeres Geschwätz über Politik von sich. Aber die Frau, die er ansprach, hörte gar nicht richtig zu. Als wir an ihm vorbeigingen, konnte ich es mir nicht verkneifen, ihn anzusehen. Er starrte zurück und zuckte nicht einmal mit der Wimper.
    Es war, als hätte jemand für das ganze Dorf die Reset-Taste gedrückt. Ständig fielen mir Sachen auf, die ich schon am Tag zuvor gesehen hatte: Derselbe Karren raste den Weg entlang, sein Hinterrad schlingerte im Schotter, dieselben Frauen standen Schlange am Brunnen. Ein Mann teerte den Boden eines Ruderbootes, er war mit seiner Arbeit kein Stück weitergekommen als vierundzwanzig Stunden zuvor. Ich rechnete beinahe damit, meinen Doppelgänger durch den Ort rennen zu sehen, gefolgt von dem Mob – aber so funktionierte das Ganze wohl nicht.
    »Ihr müsst ziemlich viel darüber wissen, was hier vorgeht«,

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