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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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nie wieder die Alte, war nicht mehr ganz richtig im Kopf.«
    »Was wurde aus ihr?«
    »Sie lebt jetzt bei Miss Nightjar. Miss Nightjar und Miss Thrush übernehmen alle schweren Fälle.«

    »Aber die Kinder sitzen doch nicht auf der Insel fest, oder?«, fragte ich. »Könnten sie nicht
jetzt
weggehen, im Jahr 1940 ?«
    »Natürlich, und ganz normal weiteraltern. Aber wozu? Um in einen grausamen Krieg verwickelt zu werden? Um Menschen zu begegnen, die sich vor ihnen fürchten und sie missverstehen? Und es gibt natürlich noch andere Gefahren. Hierzubleiben ist für sie das Beste.«
    »Welche anderen Gefahren?«
    Ihre Miene verdüsterte sich, als bedauerte sie, das Thema angeschnitten zu haben. »Nichts, womit du dich beschäftigen musst. Noch nicht, jedenfalls.«
    Und damit scheuchte sie mich nach draußen. Ich fragte noch einmal, was sie mit den »anderen Gefahren« meinte, aber sie schloss die Fliegengittertür vor meiner Nase. »Genieß den Vormittag«, zwitscherte sie und zwang sich zu einem Lächeln. »Geh und such Miss Bloom, ich bin sicher, dass sie es kaum erwarten kann, dich zu sehen.« Dann verschwand sie im Haus.
    Ich ging in den Garten und fragte mich besorgt, wie ich das Bild des verdorrten Apfels aus meiner Erinnerung löschen sollte. Es dauerte jedoch nicht lange, und ich hatte es zwar nicht vergessen, aber es quälte mich nicht mehr. Das war sonderbar.
    Ich suchte Emma und erfuhr von Hugh, dass sie im Dorf sei, um etwas zu besorgen. Daraufhin machte ich es mir im Schatten unter einem Baum bequem und wartete. Innerhalb weniger Minuten war ich fast eingedöst, lächelte wie ein Idiot vor mich hin und dachte gleichmütig darüber nach, was es wohl zum Lunch geben würde.
    Es schien beinahe, als hätte der Aufenthalt hier eine betäubende Wirkung auf mich, als wäre die Zeitschleife eine Droge – eine Kombination aus Stimmungsaufheller und Beruhigungsmittel. Wenn ich zu lange bliebe, würde ich wohl nie wieder von hier fortwollen.
    Das würde erklären, wie Menschen jahrzehntelang denselben Tag erleben können, ohne den Verstand zu verlieren. Das Leben hier war wunderbar, aber ein Tag war wie der andere. Und wenn die Kinder wirklich nicht fortkonnten, wie Miss Peregrine gesagt hatte, dann war dieser Ort nicht nur ein Paradies, sondern auch ein Gefängnis. Aber man war wie hypnotisiert von diesem angenehmen Leben und brauchte sicher Jahre, um das zu bemerken. Und dann war es zu spät und zu gefährlich, um zu gehen.
    Du entscheidest dich gar nicht dafür, sondern bleibst einfach. Erst später – Jahre später – beginnst du dich zu fragen, was gewesen wäre, wenn es nicht so gelaufen wäre.
    * * *
    Ich musste eingedöst sein, denn am späten Vormittag erwachte ich, weil etwas meinen Fuß anstupste. Ich linste mit einem Auge und entdeckte ein kleines, menschenähnliches Wesen, das versuchte, sich in meinem Schuh zu verstecken, und sich dabei im Schnürsenkel verheddert hatte. Das Männchen hatte starre Glieder, war etwa halb so groß wie eine Radkappe und trug Armeekleidung. Ich beobachtete, wie es sich Mühe gab freizukommen und dann erstarrte, als müsse es erst neu aufgezogen werden. Ich band meinen Schuh auf, um das Männchen zu befreien. Dann drehte ich es um und suchte nach dem Schlüssel zum Aufziehen. Ich fand jedoch keinen. Aus der Nähe betrachtet, war das Wesen ein sonderbares, plump aussehendes Ding. Der Kopf war ein runder Klotz aus Ton, und das Gesicht bestand aus einem verschmierten Daumenabdruck.
    »Bring ihn her!«, rief jemand von der anderen Gartenseite. Auf einem Baumstumpf am Waldrand saß ein Junge und winkte mir zu.
    In Ermangelung anderweitiger Verpflichtungen hob ich den Tonsoldaten auf und ging hinüber. Um den Jungen herum befand sich eine ganze Menagerie solcher Männchen, die herumtorkelten wie beschädigte Roboter. Als ich näher kam, erwachte der in meinen Händen wieder zum Leben und wand sich, als wolle er fliehen. Ich stellte ihn zu den anderen und klopfte mir Tonkrümel von der Hose.
    »Ich bin Enoch«, sagte der Junge. »Du musst
er
sein.«
    »Das bin ich wohl«, antwortete ich.
    »Tut mir leid, wenn ich dich gestört habe«, sagte er und trieb den Rückkehrer zu den anderen. »Die kommen vielleicht auf Ideen! Sie sind noch nicht richtig ausgebildet. Ich habe sie erst letzte Woche gemacht.« Er sprach mit leichtem Cockney-Akzent, hatte schwarze Augenringe wie ein Waschbär, und sein Overall – derselbe, den er auf den Fotos getragen hatte – war mit Ton und Dreck

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