Die Insel der Krieger
hier festhalten wollte, dann sollte sie ihn einsperren. Wenn sie ihn töten wollte, dann sollte sie es tun. Doch der Gedanke, sich aus freien Stücken in ihre Knech t schaft zu begeben, nur weil er sich seinem Dorf verpflichtet fühlte, war Nalig unerträglich. »Ich möchte nichts weiter, als dass du mir einen Augenblick zuhörst. « Kaya wies auf die Liege, auf der Nalig geschlafen hatte. »Und wenn ich doch gehe, legt Ihr dann mein Dorf in Trümmer? « Kaya schüttelte ungeduldig den Kopf. »Was um alles in der Welt hätte ich davon, dein Dorf zu zerstören? « Sie nahm auf der Liege Platz und bedeutete Nalig es ihr gleichzutun. Zögernd trat der Junge näher und setzte sich. Kartax kam hinzu und streckte sich zu Kayas Füßen aus. »Ich kann verstehen, dass du wütend und verwirrt bist«, versicherte die Göttin. »Aber dass du hier bist, hat einen Grund. « Noch immer voll Argwohn ließ der Junge erneut den Blick schweifen. »Ich weiß ja nicht einmal, wo ich hier bin«, entgegnete er widerwillig. »Du befindest dich auf meiner Insel«, erklärte Kaya lächelnd. »In der Halle des Schicksals im nördlichen Haupthaus des Tempels, wenn du es genau wissen willst. « Machte sie sich über ihn lustig? »Da du nun schon einmal hier bist, solltest du dir anhören, was ich zu sagen habe«, meinte sie nun wieder ernst. Sie deutete Naligs Schweigen als Einve r ständnis und begann: »Wie du sicher weißt, ist Eda nicht das einzige Königreich, das an diesen See grenzt. Es gibt insgesamt acht Reiche, die unter dem Schutz der Insel stehen. « Sie zählte sie an den Fingern ab. »Da hätten wir Eda im Nordwesten, Syri im Norden, daneben Vetax im Nordosten, Kreba im Osten… « »Was? « , unterbrach Nalig die Göttin ungläubig. »Wir haben seit vielen Jahren unter den Angriffen aus Syri zu leiden. Wie könnt Ihr dieses Volk unter Euren Schutz stellen? « Die Göttin lächelte wissend und etwas in diesem Lächeln war unermesslich alt. »Zunächst solltest du wissen, dass Götter bei Weitem nicht so mächtig sind, wie die Menschen gerne glauben. Wir sind den gleichen Emotionen unterworfen wie ihr und das macht uns verlet z lich und schwach. Ich weiß, dass die Menschen in Serefil denken, ich würde Eda vor Gefahren schützen, doch das ist nicht wahr. Zwar ist es meine Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass in eurem Reich Frieden herrscht, doch bin nicht ich diejenige, die Eda beschützt, sondern du. « Nalig musterte die Göttin überrascht. »Ich? « Er war nicht sicher, ob sie sich gerade einen Scherz erlaubte. Doch sie war vollkommen ernst. »Ja. Du. « »Aber was kann ich schon tun, um ein ganzes Königreich zu beschützen? « »Im Augenblick noch nicht viel«, gestand Kaya. »Genau aus diesem Grund bist du nun hier. In den Königreichen, die an diese Insel grenzen, finden sich hin und wieder Menschen, die eine besond e re Macht in sich tragen. Ihre Bestimmung ist es, ihr Volk zu verteid i gen und meine Aufgabe besteht darin, diese Menschen zu finden und auf diese Insel zu holen, wo sie zu Kriegern ausgebildet werden, die mächtig genug sind, die Ordnung in ihrem Land zu wahren. Und was Eda betrifft, so ist dieses Mal meine Wahl auf dich gefallen. Für dich und dein Königreich hoffe ich daher, dass du dich entschließt zu ble i ben. Aber wenn du möchtest, kannst du die Insel jederzeit verlassen. Natürlich müsstest du warten, bis ein neues Boot gebaut wurde, das dich zurück nach Serefil bringt. « Nalig versuchte, seine Gedanken und all die neuen Erkenntnisse zu ordnen. »Das bedeutet also, ich bin nicht hier, um Euch dazu zu bewegen, Eda auch weiterhin zu beschützen, sondern um eine Ausbildung zu erhalten, damit ich selbst mein Köni g reich verteidigen kann. « Kaya nickte. »Genau das wollte ich dir sagen. « Naligs Blick ruhte auf Kartax, der den Kopf zwischen die ausgestrec k ten Vorderpfoten gelegt hatte, den Jungen jedoch nicht aus den Augen ließ. Aus der Nähe betrachtet wirkten die Raubtieraugen alt und klug. »Wenn diejenigen, die aus Serefil auf diese Insel geholt werden, hier also nicht den Tod finden, dann müsste der Sohn des Schmieds, den Ihr vor zwei Jahren ausgewählt habt, auch noch hier sein«, schlussfo l gerte Nalig. Kaya senkte den Blick. »Was das betrifft, so habe ich wohl einen Fehler gemacht. Der Junge kam nie auf dieser Insel an. Er sprang auf halbem Wege in den See und ertränkte sich darin. Das Boot war leer, als es das Ufer erreichte. Offenbar habe ich falsch gelegen, als ich glaubte, er
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