Die Insel der Krieger
nichts ließ darauf schließen, dass soeben noch jemand hier gewesen war. Nachdem Nalig eine Weile auf die Stelle an der Wand gestarrt hatte, durch die Kaya soeben verschwunden war, streckte er sich wieder auf der Liege aus. Was Kaya erzählt hatte, die fremde Umgebung und die unheimliche Begegnung am Ufer, für die er noch immer keine Erklärung hatte, ließen den Jungen lange nicht zur Ruhe kommen. Alles, woran er bisher geglaubt hatte, wurde plötzlich infrage gestellt und er, ausgerechnet er, sollte nun ein ganzes Köni g reich beschützen. Doch wovor eigentlich? Und vor allem wie?
Draußen tobte immer noch der Sturm. Ein monotones Rauschen ließ darauf schließen, dass noch immer Unmengen an Wasser auf die Erde niedergingen. Bäume, die durch die hohen Fenster nicht zu sehen waren, knarrten im Wind und wenn ein Blitz, gefolgt von tiefem Do n ner, den Raum um Nalig hell erleuchtete, warfen sie bizarre Schatten auf den Boden. Und in der behaglichen Wärme dieses fremden Ortes lag Nalig und dachte darüber nach, welchen Weg er einschlagen wü r de. Doch im Grunde hatte er sich schon entschieden. Als er das Boot am Ufer Serefils bestiegen hatte, hatte er sich längst damit abgefunden, seine Heimat niemals wiederzusehen. Und wie sollte er den Dorfb e wohnern und seinem Vater erklären, dass er sich dagegen entschieden hatte, für sie und Eda einzutreten? Kaya hatte Recht. In seinem Dorf fühlten sich die Menschen sicher, weil er gegangen war. Und es gesellte sich zu all seinen Zweifeln auch eine Empfindung, die jeden Jungen seines Alters und seiner Herkunft überzeugt hätte, die Ungewissheit einem geordneten Leben vorzuziehen: Es war das Gefühl, etwas b e wirken zu können, eine Aufgabe zu haben und einen Nutzen für all die Menschen bringen zu können, die ihm wichtig waren, eben mehr zu sein als nur der Sohn eines Bauern. Und abgesehen von all den Übe r legungen, die Nalig zu dem Entschluss verhalfen zu bleiben, begann schon nun ein tiefer Zauber, von dem Nalig noch nichts wusste, ihn an diese Insel zu binden, die bestimmender für sein Schicksal war, als er im Augenblick ahnte.
Geweckt wurde Nalig von einer fülligen Frau mit grauem Haar und rundem Gesicht, die einen Teewagen vor seinen Schlafplatz geschoben hatte, auf dem sich alles fand, was für ein ausgedehntes Frühstück nötig war. »Na, mein Junge, wie war deine erste Nacht auf Kijerta? Das war vielleicht ein Unwetter letzte Nacht. Den ganzen Morgen schon bin ich dabei, das Wasser aufzuwischen, das durch die Fenster in die Küche gelaufen ist. Und ich habe Kaya schon so oft gesagt, dass die Fenster nicht dicht sind. Aber sie hört ja nicht auf mich, niemand hört jemals auf mich und jetzt stell dir diese Bescherung vor. Die ganze Küche schwimmt im Wasser und das, wo ich dir doch etwas zu Essen bringen muss. Du musst ja ganz entkräftet sein nach deiner Fahrt über den See. « Verdutzt beobachtete Nalig die kleine, runde Frau, wie sie um den Wagen herumwuselte, ihm Tee eingoss und dicke Scheiben Brot abschnitt, die sie ihm auf den Teller legte, während sie unaufhö r lich redete. Der Junge hätte gerne gefragt, mit wem er das Vergnügen hatte und wann Kaya kommen würde. Doch die Frau schien nicht einmal Luft zu holen und beim Geruch des Essens begann Naligs Magen laut zu rebellieren, sodass er bald den Mund so voll mit Brot und Ei hatte, dass kein Wort mehr über seine Lippen kam. Noch i m mer unermüdlich schimpfend verließ die Frau schließlich die Halle und Nalig blieb nichts weiter übrig, als ihr verwundert nachzuschauen. Er hatte sein Frühstück kaum beendet, als sie wieder hereinkam, dieses Mal in Begleitung Kayas. Die Göttin hatte ihr Kleid vom Vortag abg e legt und trug stattdessen ein weißes Gewand mit purpurnen Streifen. Kartax stapfte wie am Abend zuvor hinter ihr her und keiner der be i den ließ sich durch den Wortschwall beeindrucken, der auf sie niede r ging und der offenbar noch immer von der Überflutung der Küche kündete. »Weißt du, Lina, ich habe schon begriffen, was du mir sagen willst, als du mir das erste Mal mitgeteilt hast, dass die Fenster nicht richtig schließen. Der einzige Grund, weshalb ich sie nicht reparieren lasse, ist der, dass ich dir nicht das Vergnügen nehmen möchte, dich nach jedem stärkeren Regenfall einen ganzen Tag lang über meine Ignoranz zu beklagen«, fiel Kaya der Frau schließlich ins Wort, als sie bei Nalig angelangt waren, woraufhin diese tatsächlich verstummte und beleidigt den Wagen mit
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