Die Insel der Krieger
den Überresten von Naligs Frühstück hinausschob. Der Junge konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als Kaya sich nun ihm zuwandte. »Keine Sorge, sie ist nie lange bele i digt. Dafür redet sie zu gerne. « »Wer genau ist sie? « »Lina ist schon fast ihr ganzes Leben hier. Sie ist die jüngere Schwester eines Kriegers, den ich vor langer Zeit aus Kreba ausgewählt habe. Die beiden hatten keine Eltern mehr und so ließ ich auch Lina auf die Insel kommen. Sie macht sich nützlich, so gut sie kann. Hauptsächlich in der Küche. « »Und was ist mit ihrem Bruder? « »Er starb vor einiger Zeit. « »Warum kehrt sie dann nicht nach Kreba zurück? « »Weil dies nun ihre Heimat ist und sie das Gefühl hat, die Arbeit, die sie leistet, sei unverzichtbar. Und mir liegt nichts ferner, als sie eines Besseren zu belehren. Doch eigentlich bin ich deinetwegen hier. Ich hoffe, du hast dich gut erholt und inzwischen eine Entscheidung getroffen. « In der Tat fühlte Nalig sich um einiges besser als am Abend zuvor. Doch die Fahrt über den See und die zehn mehr oder weniger schlaflosen Nächte zuvor in Serefil hingen ihm noch immer nach. »Es geht mir so weit gut«, vers i cherte er. »Und ich habe mich dazu entschieden zu bleiben. « Kaya nickte zufrieden. »Das ist erfreulich. Ich bin sicher, du wirst deine Entscheidung nicht bedauern. Bevor deine Ausbildung beginnen kann, gilt es jedoch, ein Ritual zu vollziehen, das für alle zukünftigen Krieger dieser Insel unabdingbar ist. « Nalig bereute seinen Entschluss beinahe schon. Die Vorstellung, sich einer Prüfung oder etwas dergleichen zu unterziehen, wo er doch noch gar nicht fassen konnte, dass er übe r haupt noch lebte, erfüllte ihn nicht gerade mit Zuversicht. »Keine Sorge, du musst im Grunde gar nichts tun«, beruhigte ihn Kaya, die zu erahnen schien, was ihn bedrückte. »Wir sollten gleich aufbrechen. Wir haben einen kleinen Fußmarsch vor uns. « Kayas Ziel war nicht die im Gemälde verborgene Tür, sondern das Portal, durch das Nalig am Abend zuvor hatte fliehen wollen. Kartax trottete neben ihr her und erinnerte Nalig an einen Hund. War so etwas denn normal für einen Löwen? Der Junge folgte der Göttin durch die schwere, hölzerne Doppeltür und fand sich nicht, wie er angesichts der prächtigen Halle erwartet hatte, in einem Garten mit angelegten Beeten und sorgsam geschnittenen Büschen wieder, sondern inmitten eines Waldes, der zugleich eindrucksvoll und auch beängstigend war. Der Wald, den Nalig von Serefil kannte, war ein großer Bestand an Kiefern, zwischen denen man eine Vielzahl von Wegen angelegt hatte. In diesem Wald hingegen war von Wegen nichts zu sehen. Bäume aller Arten standen nebeneinander und nicht wenige der Stämme maßen zehn Fuß im Durchmesser. Das Blätterdach, das sich hoch oben über Nalig e r streckte, war so dicht, dass der Himmel nicht zu sehen war. Die Moospolster an den Stämmen waren so dick, dass Naligs Hand vol l ständig darin versank und die Farne, die im Wald von Serefil allenfalls kniehoch wuchsen, überragten ihn hier allesamt um Haupteslänge. Der Wald wirkte zwar nicht bedrohlich, doch etwas lag auf ihm, das Nalig, obgleich er es nicht benennen konnte, ein Gefühl von Ehrfurcht ve r mittelte. Sonderbar waren auch die Tiere. Ohne jede Scheu kreuzten Rehe und Hasen ihren Weg. Sie schienen größer zu sein als die Tiere auf dem Festland, wobei die enormen Pflanzen ringsum sie beinahe winzig wirken ließen. »Dieser Wald ist wirklich sonderbar«, wunderte sich Nalig und holte Kaya ein, die ihm bereits ein ganzes Stück voraus war. »Diese Insel existiert seit vielen hundert Jahren, in denen die Pflanzen Zeit hatten zu wachsen, ohne dass es hier Menschen gab, die versucht haben, den Wald und seine Bewohner zu unterjochen. A u ßerdem liegt ein tiefer Zauber auf dieser Insel, der allem, was hier lebt und wächst, ein langes und gesundes Leben beschert. « »Und warum haben diese Tiere keine Angst vor uns? « »Weil sie wissen, dass jegliche Angst unbegründet ist. Das einzige, was sie fürchten müssen, sind die Raubtiere dieser Insel und vor ihnen solltest auch du dich in Acht nehmen. « Unwillkürlich wandte Nalig sich nach allen Seiten um. Das Gebäude, in dem er sich eben noch befunden hatte, war bereits fast vollständig hinter den Bäumen verschwunden. Sie brauchten tatsäc h lich eine ganze Weile, um ihr Ziel zu erreichen. Grund dafür war alle r dings weniger die Entfernung als vielmehr der beschwerliche Weg
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