Die Insel der Krieger
dich noch einmal wieder zu sehen«, hauchte sie ihm ins Ohr. Naligs Mund wurde trocken. Obwohl für Ilia seit seinem Abschied viel mehr Zeit verga n gen war, kam ihm das Wiedersehen weit unwirklicher vor als ihr. Za g haft erwiderte er ihre Umarmung und war sich der Blicke der Göttin wohl bewusst. »Wie geht es dir? « , fragte das Mädchen, trat von Nalig zurück und musterte ihn. Besondere Besorgnis galt dabei seiner g e schienten Hand. »Mir fehlt nichts. Aber wie geht es dir? « Der Junge musterte seinerseits Ilia und war erschrocken. Ihr Haar war angesengt und ihre Hände verbrannt. Auch im Gesicht hatte sie Verletzungen und sie schien noch viel blasser und schmächtiger als früher. Was ihn jedoch besonders betroffen machte, war die deutliche Wölbung ihres Bauches. »Jetzt, da ich weiß, dass du lebst, geht es mir gut. Weshalb bist du nie zurückgekommen? Wenn dein Vater wüsste, dass du am Leben bist. « »Das ist nicht so einfach. « Nalig war es leid, sich ständig verteidigen zu müssen. Besonders, da er derjenige war, der sich am meisten wünschte, seinem Vater die Wahrheit zu sagen. Kaya trat vor und zum ersten Mal an diesem Abend war Nalig für ihre Anwesenheit dankbar. »Ich grüße dich, Ilia«, meinte sie freundlich. »Es ist mir eine Freude, dich auf Kijerta willkommen zu heißen. Ich bin Kaya, die Göttin dieser Insel. Ich kann mir vorstellen, dass du viele Fragen hast. Aber ich halte es für klüger, alle Erklärungen auf morgen zu vertagen, wenn du dich ausgeruht hast. « Sie schickte Stella, um Lina zu holen. Ilia erwiderte den Blick der Göttin mit Ehrfurcht, doch war es eher Kartax’ Anwesenheit, die das Mädchen sämtliche Widerworte heru n terschlucken ließ. Naligs Falke kam aus seinem Baum geflogen und setzte sich auf die Schulter des Jungen. »Das ist Merlin«, stellte dieser den Vogel vor. »Er hilft mir, Eda zu beschützen und gehört zu mir wie Aila zu Stella. « Ilia wandte sich von dem weißen Löwen ab und b e trachtete den Vogel. »Ja, ich habe euch beide in Serefil gesehen«, stellte das Mädchen fest und streichelte sachte das Gefieder des Falken. Naligs Augen weiteten sich erstaunt. »Du hat uns gesehen? « »Ja, an dem Tag, als diese seltsamen Wesen unser Dorf angegriffen haben. Ich war nicht ganz sicher, ob du es warst. Aber ich habe euch auf dem Dorfplatz landen sehen. « Es dauerte nicht lange, bis Lina, gefolgt von Stella, aus dem Tempel trat. Mit energischem Schritt kam die rundliche Frau näher und nahm Ilia unter einem Wortschwall in ihre Obhut. Ilia folgte der Frau widerwillig. Sie hatte noch so viele Fragen, es gab noch so vieles, das sie nicht verstand. Doch auch Nalig blieb verwirrt z u rück. » Wie ist es möglich, dass Ilia Merlin und mich gesehen hat? « , wollte er von Kaya wissen. »Das ist überhaupt nicht möglich. Das Mädchen muss sich getäuscht haben. « »Aber wie kann sie dann wissen, an welchem Tag wir in Serefil waren und wo wir gelandet sind? « »Womöglich weiß sie es von Stella. « Nalig bemerkte, wie sich Stella neben ihm anspannte. »Ich habe kein Wort über den Angriff auf Serefil verloren. Ilia hat von sich aus erzählt, dass sie Nalig im Dorf gesehen hat und sie konnte auch Aila sehen, nachdem sie sich am See verwandelt hatte. « »Das ist nicht möglich«, beharrte Kaya. »Es ist aber so. Sie hat auch Zalari, Juray und Euch gesehen, als Ihr über Serefil geflogen seid. Wie hätte sie mir von den Begleittieren erzählen können, ohne sie gesehen zu haben? « Kaya blickte Stella an, als sei sie an dieser sonderbaren Begebenheit schuld. »Aber das bedeutet«, setzte sie an, »dass auch sie die Kraft der Götter in sich trägt«, ergänzte Nalig. Es dauerte eine Weile, bis er selbst die Bedeutung seiner Worte erfasste. »Dann habe ich mich geirrt«, stellte die Göttin niedergeschlagen fest. Ihre gesamte Erscheinung schien plötzlich zu schrumpfen. »Wenn sie die Begleittiere tatsächlich sehen kann, dann hätte ich sie auf die Insel rufen müssen und nicht ihren Bruder. « Nalig wagte es nicht, etwas auf diese erstaunliche Feststellung zu erwidern. Wenn dies der Wahrheit entsprach, dann war Ilias Bruder ganz umsonst gestorben. Langsam wandte die Göttin sich ab und ging in den Tempel. »Wie kann es sein, dass Kaya ein solcher Fehler unterlaufen ist? « , wunderte sich Nalig. »Weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass ein dürres, blasses Mä d chen die künftige Kriegerin Edas sein könnte. « Ohne ein Wort des Abschieds flog Stella mit
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