Die Insel der Krieger
der dich verspottet oder mit dem Finger auf dich zeigt. Außerdem würdest du deinem Vater nicht mehr zur Last fallen, wenn du mitkommst. « Ilia senkte den Blick. Stella fühlte sich schäbig, das Feingefühl des Mädchens auszunutzen, doch sie war hier, um Ilia mitzunehmen und das gedachte sie zu tun. »Na schön, ich komme mit«, fasste Ilia einen zögerlichen Entschluss. »Dann solltest du dir etwas anderes anziehen und falls du etwas mi t nehmen möchtest, dann solltest du es holen. « Das Mädchen schlich zurück zum Haus der Nachbarn. »Ich warte hier auf dich«, meinte Stella, als das Mädchen in den Schatten verschwand. Ilias Herz klopfte heftig. Wenn die fremde Frau die Wahrheit sagte, dann würde sie schon bald Nalig treffen. Und sie hatte sich nicht nur eingebildet, ihn und den riesigen Falken in Serefil gesehen zu haben. Nur weshalb kam er nicht selbst, um sie zu holen? Lautlos glitt Ilia zurück ins Haus und in die Kammer, in der ihr Vater schnarchte. So leise wie möglich zog sie sich an. Habseligkeiten hatte sie keine zusammenzuraffen. Fast alles war in der Schmiede verbrannt und viel besessen hatte sie ohnehin nie. Dennoch zögerte Ilia im Hinausgehen. Sie warf einen Blick auf ihren schlafenden Vater. Wenn sie nun ging, dann hatte er niemanden mehr. Andererseits hatte Stella Recht. Sie würde stets mit bösen Worten und Blicken bedacht werden und der Schmied, der obendrein keine Schmiede mehr hatte, in der er arbeiten konnte, würde sie und ihr Kind versorgen müssen, solange er lebte. Und was würde danach aus ihr werden? Nein, in Serefil gab es keine Zukunft für sie. Also küsste sie ihren Vater, der ungerührt weiterschlief, auf die Stirn und verließ das Haus. Draußen warteten die junge Frau und die große Katze. »Bist du bereit? « Das Mädchen nickte und spürte einen Kloß im Hals. »Dann komm mit. « Stella ging voran und führte Ilia zwischen den Häusern hindurch und hinunter zum See. Sie brauchten eine ganze Weile für den Weg, denn Ilia fühlte sich erschöpft und war daher nicht gut zu Fuß. Die schwarze Wasseroberfläche spiegelte den bleichen Mond und der übliche Nebel waberte darüber hinweg. Bei diesem Anblick wurde Ilia mulmig zumute. Sie konnte nirgends ein Boot am Ufer sehen. »Wie kommen wir zur Insel? « »Wir werden fliegen«, erklä r te Stella. Würde das Mädchen sich darauf einlassen, auf einer riesigen Katze, die sie nicht einmal sehen konnte, über den See zu fliegen? Ilia verfolgte gespannt, wie Stella die Augen schloss und sich konzentrie r te. Entgeistert sah sie die Verwandlung Ailas und blinzelte in das vi o lette Licht, das sie umgab. »Das ist ja unglaublich«, staunte sie. »Du kannst sie sehen? « , fragte Stella nicht minder verwundert. »Ja. Ich habe auch einen riesigen weißen Löwen, ein Wiesel und eine Eidechse ges e hen, die über Serefil geflogen sind. « »Das waren Kaya, Zalari und Juray«, stellte Stella fest. Weshalb konnte das Mädchen die Krieger und ihre Begleiter sehen, wenn diese sich verwandelt hatten? Stella schü t telte den Kopf. Dieses Rätsel würde sie nun nicht lösen können. J e denfalls war der Umstand im Augenblick sogar von Vorteil. Ilia kle t terte auf Aila, die sich so klein wie möglich machte und hielt sich an Stella fest. »Ich verstehe nicht, weshalb man sich im Dorf erzählt, dass auf der Insel eine Göttin lebt, die alle auffrisst, die ihre Insel betreten. « Ilia blinzelte in den dichten Nebel, durch den Aila flog. Stellas Behau p tungen passten so gar nicht zu dem, was die Bewohner Serefils glau b ten. »Das wirst du noch erfahren, wenn wir auf der Insel sind. Aber ich verspreche dir, dass du nicht gefressen wirst. «
Auf Kijerta war kaum eine halbe Stunde vergangen, seit Stella zum Festland aufgebrochen war. Nalig lief unruhig im Innenhof umher. Kaya stand mit Kartax stumm daneben und Merlin beobachtete alles von einem Baum aus. Endlich kam am dunkler werdenden Himmel Aila in Sicht. Der Junge versuchte zu erkennen, ob eine oder zwei Personen auf ihrem Rücken saßen. Sein Herz machte einen Hüpfer, als er das weiße Kleid erkannte. Aila landete sachte im Gras und ließ ihre Reiter absteigen, ehe sie auf ihre übliche Größe schrumpfte. Ilia kam zögernd näher. Sie fühlte sich schwach. Zu ihrem üblichen Leiden kam nun noch die seltsam dünne Luft auf Kijerta. Dennoch schaffte sie ein Lächeln, als sie Nalig erkannte. Er ging ihr ein paar Schritte entgegen und sie fiel ihm um den Hals. »Ich hätte nicht gedacht,
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