Die Insel der Krieger
dorthin. Teilweise mussten sie über Wurzeln und Pflanzen hinwegklettern oder Umwege in Kauf nehmen, wenn die Bäume zu dicht standen. Nalig staunte, mit welcher Leichtigkeit Kaya Hinderni s se überwand und sich durch das Unterholz schlug. Der Junge kam zu dem Schluss, dass man eine Göttin wohl nicht nach ihrer äußeren Erscheinung beurteilen sollte. Kartax folgte seiner Herrin völlig müh e los, während Nalig bald ins Schwitzen kam. »Wohin gehen wir eigen t lich? « , keuchte der Junge, der inzwischen Schwierigkeiten hatte, Schritt zu halten. »Wir suchen die Höhle der Gefährten auf. « »Die Höhle der Gefährten? « »Ja. Jeder Krieger, der hier ausgebildet wird, hat einen Gefährten. Ein Begleittier, das auf besondere Weise mit ihm verbu n den ist. « »Dann ist Kartax also Euer Begleittier? « »Richtig. Aber es handelt sich nicht um irgendwelche Tiere. Denn genau wie den Me n schen, die auserwählt sind, auf diese Insel zu kommen, wohnt auch ihnen eine besondere Kraft inne. In der Höhle, die wir nun aufsuchen, existieren sie schon seit langer Zeit und liegen in tiefem Schlaf, bis der Mensch, für den sie bestimmt sind, die Höhle betritt. Sie wissen oft schon lange vor der Geburt ihrer Gefährten, wem sie sich einmal anschließen werden. Sobald Krieger und Begleittier einander gefunden haben, ist ihr Schicksal miteinander verknüpft. Die Begleittiere leben so lange wie der Mensch, dem sie folgen. Stirbt der Krieger, stirbt auch sein Gefährte. Kartax begleitet mich schon, seit ich vor 800 Jahren auf dieser Insel geboren wurde. « Nalig staunte. Die Vorstellung, dass w o möglich schon seit vielen Jahren sein tierischer Begleiter hier auf den Tag wartete, an dem er die Insel betrat, war sehr befremdlich und gespannt fragte er sich, welches Tier wohl sein Gefährte werden wü r de. Nun betrachtete er Kartax mit anderen Augen. Er war kein g e wöhnlicher Löwe, wie schon sein weißes Fell vermuten ließ. Er war 800 Jahre alt und Kaya niemals von der Seite gewichen. »Wir sind da«, stellte Kaya fest und blieb unvermittelt stehen. Nalig trat neben sie und blickte in die Dunkelheit der Höhle, vor der sie standen. Für ihn sah sie nach einer gewöhnlichen Höhle aus: Düster und feucht und so von Unkraut bewachsen, dass der Eingang nur schwer zu sehen war. Kaya schien nicht die Absicht zu haben, einzutreten. »Diesen Weg musst du allein gehen«, teilte sie Nalig mit. »Was muss ich tun? « »Geh in die Höhle, alles Weitere wird sich ergeben. Wenn du dein Begleittier g e funden hast, dann komm zurück. Wir werden hier auf dich warten. « Im Grunde hatte Nalig keine große Lust, sich alleine in eine Höhle voll wilder Tiere zu begeben. Doch blieb ihm eine andere Wahl? Also schob er den Vorhang aus Schlingpflanzen beiseite und trat in die Dunkelheit. Er war kaum drei Schritte gegangen, als er hörte, wie sich hinter ihm etwas regte. Die Pflanzen, die vor dem Höhleneingang hingen, verknoteten sich und schlangen sich umeinander und bildeten ein Geflecht, das so dicht war, dass jeglicher Versuch hinauszuko m men, zwecklos wäre. Das ungute Gefühl, in der Falle zu sitzen, schnü r te Nalig die Kehle zu. Von Kaya und Kartax war nichts mehr zu s e hen. Es war, als hätte er die Schwelle zu einer anderen Welt überschri t ten. Eine gespenstische Stille umfing ihn und schluckte alle Geräusche des Waldes. Vorsichtig setzte Nalig seinen Weg fort und tastete sich an den Wänden der Höhle entlang. Der schmale Gang schien ihn stetig bergab zu führen, und als der Junge sich schon fragte, wo er enden würde, wurde es plötzlich heller. Ein seltsames grünes Licht erfüllte die Höhle vor ihm. Verwundert stellte er fest, dass die Wände der Höhle nicht mehr felsig und grau waren, sondern dass sich ringsum, auch in Boden und Decke, Nischen verschiedener Größe befanden. Darin eingelassen waren quaderförmige, durchscheinende Blöcke, die auss a hen wie Eis. Erst als Nalig die warme, glatte Oberfläche berührte, stellte er fest, dass es sich um eine Art Gestein handelte, welches das eigenartige grüne Licht ausstrahlte und in dem sich die Umrisse ve r schwommener Gestalten abzeichneten. Die formlosen Körper schi e nen zu pulsieren. Je weiter Nalig den Gang entlangging, desto deutl i cher wurden sie. Er erkannte Flügel, Klauen, Pfoten und schließlich sogar einzelne Federn, Schuppen und Haare. Plötzlich verbreiterte sich der Gang und Nalig fand sich in einem riesigen, lang gestreckten, unterirdischen Raum, dessen
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