Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
Vom Netzwerk:
nach Hause und schlug Alarm, und das ist alles, was ich dir berichten
kann .«
    Meister Li nickte
mitfühlend.
    »Wen hast du alarmiert ?« wollte er wissen.
    »Der Kaiser hat meinen
Hausbediensteten einen Beamten zugeteilt. Als Kindermädchen, nehme ich an, aber
gelegentlich ist er von Nutzen .«
    »Und du hast ihm gesagt,
was passiert ist ?«
    »Das mußte ich«, entgegnete
der Himmlische Meister. »Er hat natürlich kein Wort davon geglaubt .«
    »Ich dagegen schon .« Meister Li zwinkerte ihm mit Grinsen zu. »Ich habe nicht
gesagt, daß ich alles glaube, wohlgemerkt, aber ich will
unvoreingenommen an die Sache gehen, und wer weiß! Ich habe mir im Laufe meines
Lebens angewöhnt, einige unglaubliche Dinge zu akzeptieren .«
    Der Himmlische Meister
erwiderte das Grinsen, dann stöhnte er auf und tippte sich an den Kopf.
    »Müde, Kao, müde. Die Zeit,
die mir noch bleibt, ist ungefähr so beschränkt wie mein restlicher Verstand,
und wenn du heute noch irgend etwas von mir willst,
dann verlangst du es besser jetzt«, erklärte er mit matter Stimme. Meister Li
beugte sich vor.
    »Was ich will«, sagte er
langsam und deutlich, »ist ein schriftlicher Auftrag, die Angelegenheit und
alles, was damit im Zusammenhang stehen könnte, mit der uneingeschränkten
Vollmacht und
    Unterschrift des
Himmlischen Meisters zu untersuchen .«
    *
    Nicht lange danach folgte
ich Meister Li durch eine Reihe von Seitentüren und durch die Gärten zum Hof
und unserer Sänfte zurück. Er war merklich niedergeschlagen, obwohl er doch
allen Grund zur Freude hatte, und ich warf ihm einen fragenden Blick
    »Tja, Ochse, das können wir
vergessen! Einen Fall wie ein großer weißer Wal haben wir da nicht im Netz«,
bemerkte er. »Meister?«
    »Ich muß mich bei den
Mandarinen entschuldigen. Sie haben die Sache vertuscht und gehofft, den
Leichnam unter die Erde schaffen zu können, bevor irgendein Übereifriger wie
ich daherkommt, und zwar aus dem einleuchtenden Grund, daß Chinas größter
lebender Heiliger soeben den Mord an Ma Tuan Lin gestanden hat«, sagte er
wehmütig.
    3
    Meister Li wurde allmählich
müde, und nachdem ich zur Hortensien-Insel hinübergerudert war und das Boot am
Steg vertäut hatte, befahl er mir, mich zu bücken, damit er auf meinen Rücken
klettern konnte. Er wiegt nicht mehr als ein Schulkind, seine kleinen Füße
passen mühelos in die Taschen meines Kittels, und ich bin so daran gewöhnt, den
alten Mann herumzutragen, daß ich mir ohne ihn fast nackt vorkomme. Ich lief
über die Wege, die er mir zeigte, zu dem Pavillon, vor dem Ma Tuan Lin nach den
Worten des Himmlischen Meisters den Tod gefunden hatte.
    In der kurzen Zeit seit
jenem Tage hat sich die Insel unvorstellbar verändert. Überall sind Gebäude im
Entstehen, und es gibt kaum noch einen halben Hektar bewaldeten Bodens. Damals
war sie fast völlig von Bäumen, Büschen und Gras überzogen, und außerhalb des
Yu (über den ich an späterer Stelle ausführlicher berichten werde) gab es nur
die Sammlung astronomischer Instrumente, die der große Chang Heng begründet
hatte und weniger als zwanzig einsam gelegene Pavillons, die von bedeutenden
Mandarinen als Ort der Besinnung genutzt wurden. Es war friedvoll und
wunderschön dort, und wir sahen und hörten keine Menschenseele auf unserem Weg
durch die Wälder. Als vor uns eine grasbewachsene Lichtung auftauchte, bat
Meister Li mich, anzuhalten und ihn abzusetzen. Dann zog er seinen Weinschlauch
unter dem Gewand hervor, goß den Inhalt trübsinnig in sich hinein und spuckte
den dickflüssigen Bodensatz auf die Blumen. Ich wartete darauf, daß sie nach
dieser Dusche reinen Alkohols welken und eingehen würden, aber aus irgendeinem
Grunde taten sie es nicht. »Ochse, ich muß dich zu deiner Selbstbeherrschung
beglückwünschen. Nicht eine einzige Frage«, bemerkte er mit einem Zwinkern.
    Meister Li weiß, daß er
mich gut geschult hat. »Schauen wir uns einmal um. Ich wette, daß der
Himmlische Meister gesehen hat, wie unser Leichenfresser Ma Tuan Lin den Kopf
abriß, was Mas Erscheinung nur zum Vorteil gereichen konnte, und ich wäre
enttäuscht, wenn ich mich irren würde.«
    Wir wußten bereits, daß der
Leichnam an eben dieser Stelle gefunden und von hier aus fortgebracht worden
war, und nach ein paar Schritten sah ich die Umrisse des Pavillons vor mir.
Daneben entdeckte ich einen großen Hügel frischer Erde, und schließlich fiel mein
Blick auf etwas Schwarzes, das sich bewegte und sich deutlich vor dem

Weitere Kostenlose Bücher