Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
Vom Netzwerk:
Explosion wie ein Feuerball durch die Wand seiner Hütte katapultiert wird.
Und das bringt uns zum nächsten Merkmal des Puppenspielers. Er war ein
Aristokrat, und das meine ich nicht als bloße Redensart. »Aus einer vornehmen
Familie? O ja, das nehme ich zumindest an«, erwiderte Meister Li, als ich ihn
danach fragte. »Er riecht geradezu nach einer besonderen Erziehung. Im Konfuzianismus
ist der fortlaufende Adel einer Familie festgeschrieben, gleichgültig, ob ihr
die kaiserliche Gunst erhalten bleibt oder nicht, und es wimmelt von stolzen
Adelssöhnen im Reich, die unerkannt als Fischer oder Wildhüter arbeiten, warum
also nicht als Puppenspieler? Vielleicht beschließt Yen Shih eines Tages, uns
seine Geschichte zu erzählen, aber bis dahin können wir immerhin soviel
Höflichkeit walten lassen, den Mund zu halten .«
    Die Szene, die ich
beschreiben möchte, ist folgende: Wir waren bei einem Gasthof am Rande einer
Stadt angelangt, wo wir durch den Regen, der die Straßen völlig aufgeweicht
hatte, festgehalten wurden. Yen Shih hatte, allein an einem kleinen Tisch in
der Ecke der geräumigen Schankstube sitzend, schon früh am Morgen zu trinken
begonnen. Am Nachmittag trank er immer noch langsam und beständig vor sich hin,
ohne daß der starke Wein eine Wirkung gezeigt hätte. Er versank lediglich immer
tiefer in seiner eigenen Welt. Yu Lan hatte sich (Buddha sei Dank!) in unserem
Wagen zur Ruhe begeben. Plötzlich flog die Tür auf, und eine Gruppe von
Edelleuten kam hereinstolziert. Sie trugen Jagdkleidung und waren bis auf die
Haut durchnäßt. Alle schwänzelten unterwürfig um den Anführer herum, der ein
gerötetes, mißmutiges Gesicht und jähzornige, unstete Augen hatte. Er schrie
nach Wein und einem größeren Feuer, schickte uns Bauern barsch hinaus und
befahl beinahe im selben Atemzug dem Bauern, der ihm am nächsten war, den
stinkenden Fußboden so sauber zu kehren, daß vornehme Füße darüber wandeln konnten.
Zufällig war der am nächsten Sitzende Yen Shih, der sich ohne Hast erhob und
einen Besen ergriff, der an der Wand lehnte. Er musterte den Edelmann mit
forschendem Blick.
    »Großer Gott, die
Ähnlichkeit ist verblüffend«, nuschelte er. »Sind Eure Herrlichkeit zufällig
mit dem strahlenden Herrn Yu Yen verwandt ?«
    Angesichts der bloßen
Anmaßung eines solchen Wurms, einen Tiger anzusprechen, verschlug es dem
Edelmann die Sprache. Übrigens, Yu Yen bedeutet Fischauge.
    »Nein? Wie seltsam. Ich
hätte darauf geschworen, daß Ihr Brüder seid«, fuhr Yen Shih fort. »Meister der
Jagd, Legenden des Krieges - Herr Yu Yen zum Beispiel wurde, nachdem er es
heldenhaft zu hohem Rang, Orden und Befehlshaberschaft auf dem Felde des
Erstgeburtsrechts gebracht hatte, die Ehre zuteil, den Sohn des Himmels auf
einem Banditenjagdzug begleiten zu dürfen, und wie es das Schicksal wollte,
erhielt er früh die Gelegenheit, seine Qualitäten unter Beweis zu stellen, als
seine Leute auf eine Bande räuberischer Miao-chia stießen.«
    Der Edelmann hatte endlich
die unglaubliche Tatsache, daß diese gemeine Kreatur in vertraulichem Ton mit
ihm sprach, erfaßt, und mit einem Wutgebrüll zog er sein Schwert aus der Scheide.
Ich wollte hinzuspringen, doch Meister Li packte mich an der Schulter und hielt
mich zurück. Yen Shih balancierte den Besen so sorglos auf dem rechten
Zeigefinger, als hätte er die scharfe Klinge nicht bemerkt, die kalt in der
Nachmittagssonne funkelte. »Was war er doch für ein Held !« sagte der Puppenspieler bewundernd. »Schick deinen besten Kämpfer her ! rief der tapfere Herr Yu Yen. Er gegen mich! Mann
gegen Mann und Hand gegen Hand ! Das war schicklich
gesprochen, doch bedauerlicherweise muß berichtet werden, daß das Gesindel, an
das die Worte gerichtet waren, abscheulich betrunken war.« »Typisch Miao-chia«,
bemerkte Meister Li.
    Der Edelmann schrie wütend
auf und holte zu einem Schlag aus, der den Kopf des Puppenspielers von den
Schultern fegen sollte, doch mit einer lässigen Bewegung des Besenstiels wehrte
Yen Shih die Klinge ab, und sie flog harmlos zur Seite, wo sie eine Kerze in
zwei Stücke hackte und eine Blechschüssel vom Tisch schmetterte.
    »Ja, so war es«, bemerkte
der Puppenspieler bedauernd. »Die Schweine steckten die Köpfe zusammen und
johlten und kicherten betrunken durcheinander. Sie zeigten mit schmierigen
Fingern auf Herrn Yu Yen, und dann schickten sie die Köchin .« Der Edelmann brüllte auf und holte wieder aus, und diesmal knallte der

Weitere Kostenlose Bücher