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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Besenstiel
hart auf sein Handgelenk. Yen Shih schien gar nicht zu bemerken, daß sein
Gegner zu Boden ging und mit unsicheren Fingern nach dem Schwert tastete. »Die
Köchin war eine ziemlich wuchtige Frau«, sagte er mit klagender Stimme. »Sie
hatte dicke, fleckige Arme und einen bösen Blick. Ich kämpfe nicht gegen
eine Frau ! brauste der ritterliche Herr Yu Yen
auf, doch schon krallte sich das Weib in seinen prächtigen Lokken fest, riß
seinen Kopf nach vorn und biß ihm die edle Nase ab.«
    »Typisch Miao-chia«, bemerkte
Meister Li.
    Der Edelmann versuchte es
mit einem Stich ins Herz. Yen Shihs Parade drehte ihn um seine eigene Achse,
und ein paar Blutstropfen sprühten durch die Luft, als der Besenstiel seine
Nase traf.
    »Herr Yu Yen«, fuhr Yen
Shih fort, »beschloß - ein wenig spät, mögen manche sagen das Schwert zu
ziehen, und die alte Vettel mißhandelte seine Finger aufs Übelste in dem
Bemühen, es ihm wegzunehmen. Dann hackte sie ihm die aristokratischen Arme an
den Ellbogen ab .«
    »Typisch Miao-chia«,
bemerkte Meister Li.
    Der Edelmann holte gewaltig
aus, und der Schwung wirbelte ihn im Kreis herum, als Yen Shih mit dem
Oberkörper zurückwich. Die Klinge sauste durch die Luft, ohne Schaden
anzurichten, und dann zuckte der Besenstiel herunter. Der Edelmann stieß einen
schrillen Schrei aus und fuhr sich, während sein Schwert wieder zu Boden
klirrte, mit den Händen an beide Ellbogen.
    »Der tapfere Herr Yu Yen
war jetzt ein wenig im Nachteil, aber immer noch unverzagt !« verkündete der Puppenspieler stolz. »Er trat vor, holte zu einem gewaltigen
Tritt aus und hätte vielleicht sogar noch einen zweiten gewagt, hätte ihm die
alte Hexe nicht beide Beine an den edlen Knien abgesäbelt .« »Typisch Miao-chia«, bemerkte Meister Li.
    Der Edelmann straffte sich
und versuchte, den Besenstiel mit seinem Schwert abzuwehren, doch gleich darauf
hüpfte er im Zimmer umher und hielt sich die schmerzenden Knie. »Was für ein
Kämpfer war doch Herr Yu Yen !« sagte Yen Shih bewegt.
»Es gelang ihm großartig, auf dem Bauch voranzukriechen und die Dame schmerzhaft
ins linke Fußgelenk zu beißen, und gewiß hätte er auch dem rechten eine
ernsthafte Verletzung zugefügt, hätte die alte Schlampe nicht sämtliche Regeln
zivilisierter Kriegsführung mißachtet, was sich an der Art zeigte, wie sie sich
anschickte, seine Ehren aller Zähne zu berauben.« »Typisch Miao-chia«, bemerkte
Meister Li.
    »Der Edelmann war jedoch
kein Schwachkopf. Als sich der Besenstiel seinem Gesicht näherte, sprang er
vier Fuß zurück und hob den linken Arm schützend vor seinen Mund .« Yen Shih wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Seiner
Zähne, Beine und Nase verlustig, lieferte der tapfere Herr Yu Yen dennoch einen
großartigen Kampf. Er beantwortete den Frevel mit harten Worten, die ihm aus
der Seele kamen und erwog sogar zu spucken, als das lose Weib so darauf
reagierte, daß man die Einzelheiten ihres schändlichen Tuns höchstens in Tibet
weitererzählen könnte.«
    »Das«, bemerkte Meister Li,
»ist typisch Miao-chia .«
    Der Edelmann hob wieder
sein Schwert, dann hielt er zögernd inne.
    »Wir suchten das ganze
Schlachtfeld nach einem Stück von unserem Helden ab, das groß genug gewesen
wäre, es in einen Schrein in der Militärakademie zu legen, von wo aus der
tapfere Herr Yu Yen noch ungeborene Generationen beflügeln sollte. Aber ach! Es
war nichts übrig als ein Fettfleck im Gras«, sagte Yen Shih schwermütig. Doch
dann leuchteten seine Augen auf. »Aber wartet! Vielleicht würde auch ein
Doppelgänger genügen, und wir brauchen nur ein kleines Stück !«
    Ein dünnes, hartes Lächeln
entblößte seine Zähne, als er auf den anderen zuging, und der Besenstiel zuckte
in seiner Hand vor und zurück wie der Kopf einer Kobra. Mit einem spitzen
Schrei stürzte der Edelmann zur Tür hinaus und verschwand, ohne sich um sein
Schwert zu kümmern.
    Von den anderen Mitgliedern
der Jagdgesellschaft war die ganze Zeit über nicht ein Mucks gekommen. Der
Puppenspieler wandte sich um und ließ den Blick über sie schweifen, dann stieß
er ein Knurren aus. Das war alles. Nur das tiefe, kehlige Knurren eines Bären,
der im Begriff ist, die Geduld zu verlieren, und in weniger als fünf Sekunden
war kein einziger Edelmann mehr zu sehen. Ich war wie versteinert, ganz im
Gegensatz zu Meister Li. »Ochse, pack zusammen. Wir brechen sofort auf«, sagte
er. Dann wandte er sich an den Puppenspieler, und seine Stimme klang scharf

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