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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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stand am gegenüberliegenden Fenster. Sie
schwang sich auf die Fensterbrüstung, wandte sich, nunmehr vom Mondlicht
beschienen, um und sah uns direkt in die Augen. Wieder einmal hatten wir das
Wesen vor uns, das halb Mann, halb Affe war, grotesk, aber ohne Zweifel
wirklich, mit silbergrauer Stirn, leuchtend blauen Wangen, roter Nase und
gelbem Kinn. In der Hand hielt es den Käfig, den Meister Li so dringend
begehrte, und mit einem behenden Satz hatte es sich über die Brüstung hinunter
geschwungen und war verschwunden.
    Ein greller Blitz blendete
mich. Als mein Blick allmählich wieder klar wurde, war kein Hundekörper und kein Hundekopf mehr zu sehen, nur schallendes Gelächter
stieg gen Himmel, wo ein großer weißer Kranich vor der Mondscheibe davonflog.
    13
    Meister Li ließ sich von
mir über die Balkonbrüstung heben, dann glitt er von meinem Rücken herunter und
betrat den Raum, wobei er den Blutlachen auswich, so gut es ging.
    »Meister, der Käfig ist weg !« sagte ich drängend. Es war seltsam, schreien zu müssen,
obwohl ich viel lieber geflüstert hätte, aber bei dem Gelächter, das vom Hof
heraufdrang, konnte ich mit Flüstern nichts erreichen. »Ich kann das Wesen
unmöglich einholen! Es klettert so schnell an Mauern herunter, wie ich über
ebenes Feld laufe, und im übrigen, wie soll ich in die Luft fliegen und einen
Kranich einfangen?«
    »Ochse, hör auf zu faseln«,
fuhr er mich an. »Ich weiß, daß der Käfig weg ist, aber irgend etwas wird uns
das Ganze doch einbringen .«
    Er blieb auf einem
trockenen Fleckchen stehen, das vom Fußboden noch zu sehen war wie eine kleine
Insel in einem zähen und klebrigen roten Meer, dann wandte er sich um und
streckte die Hand aus.
    »Hol die Vorhänge herunter
und lege sie bis zum Tisch auf den Fußboden, damit unsere Sandalen keine Spuren
hinterlassen .« »Ja, Meister.«
    Ich tat, was er mir gesagt
hatte, und der alte Mann schritt über einen Pfad aus grünen Damastdrachen, die
sehr hübsch aussahen vor dem blutroten Hintergrund, den silbernen Strahlen des
Mondes und dem golden schimmernden Kerzenlicht. An dem niedrigen, mit Jade
eingelegten Tisch suchte er Zentimeter für Zentimeter den dicken Fellteppich
unter der Seite ab, auf der die Feuerschale für den Tee stand. Dann klaubte er
mit einem zufriedenen Grunzen ein paar winzige Gegenstände auf.
    »Als der Glockenton eine
Nachricht ankündigte, sprangen der Große Gouverneur und Li die Katze auf wie
zwei Hasen«, erklärte er. »Ich war fast sicher, daß der Gouverneur irgend etwas fallen ließ, und ich hatte recht. Dem Himmel
sei Dank, daß hier so nachlässig geputzt wird .«
    Er hatte ein paar Teile des
Teeplättchens und eines der ungepreßten Blätter gefunden und verstaute sie in
einem Fach seines Geldgürtels. Die Runzeln um seine Augen zogen sich zusammen,
bis sie aussahen wie die Linien auf der Daumenkuppe, wenn man sie durch eine
Feuerperle betrachtet, und wie gewöhnlich beschäftigte er sich mit Problemen,
die ich erst wahrnehmen würde, wenn es längst zu spät war.
    »Über einen solchen Mord
geht niemand hinweg, wenn es sich bei dem Opfer um den Großen Gouverneur vom
Gänsetor handelt«, bemerkte er, laut denkend. »Li die Katze ist kein Problem.
Er weiß sehr gut, daß zwei weitere Geehrte unter den Mandarinen auf höchst
ungewöhnliche Weise ermordet und ihrer Käfige beraubt wurden. Also wird er
sicherlich schnurstracks nach Hause eilen, um dafür Sorge zu tragen, daß mit
seinem eigenen Käfig oder den anderen Beteiligten dieses ehrenwerten
Unternehmens nicht irgend etwas Unheimliches passiert.
Schwierigkeiten werden uns dagegen die leitenden Beamten des Großen Gouverneurs
bereiten, die ihre Treue und Tüchtigkeit unter Beweis stellen müssen, wenn sie
auf Weiterbeschäftigung hoffen wollen. Sie werden eine Untersuchung in die Wege
leiten, die uns drei Monate hier festhält, und wenn wir uns davonmachen, bevor
die Leichen gefunden werden, beschuldigen sie uns des Mordes und hetzen uns das
ganze Heer auf den Hals.«
    Die Falten zogen sich noch
enger zusammen, und seine Züge entspannten sich, als er einen Entschluß faßte.
Er deutete zur Wand und sagte: »Es muß also doch ein Tiger her. Hol das
herunter und paß auf, daß du nicht mit den Sandalen ins Blut trittst .« Die Wände waren mit Tierfellen behangen. Eines stammte
von einem mächtigen Tiger, und man hatte Kopf und Klauen nicht entfernt.
Meister Li wies mich an, die Tatzen säuberlich abzuschneiden und das Fell
wieder

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