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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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spielt sich in einem
langen Korridor ab, der zu beiden Seiten mit Türen gesäumt ist.
    Der Siegelbewahrer Po bückt
sich, um durch ein Schlüsselloch zu spähen. Er weicht, den Unterarm vor den Augen,
die andere Hand von sich gestreckt, entsetzt zurück. Im selben Augenblick
öffnet sich hinter ihm eine Tür, aus der Fu-mo und Fu-ching mit dem Schwein
unterm Arm hervorstürzen. Sie rasen über den Gang und zur gegenüberliegenden
Tür hinein, während Po sich zum nächsten Schlüsselloch hinunterbeugt. Aus dem
Zimmer, das die beiden Halunken gerade verlassen haben, kommt Bauer Hong,
verfolgt von der Gattin des Siegelbewahrers, ihnen auf den Fersen ein Kunde,
bei dem es sich zufällig um einen gottesfürchti-gen Bonzen handelt, der von
einer reizenden, unter dem Namen Kleines Verlorenes Hühnchen bekannten jungen
Dame begleitet wird. Keiner von ihnen hat Kleider am Leib, und die beiden
bleiben im Korridor stehen und starren mit tellergroßen Augen um sich, während
Bauer Hong und jene Gattin durch die gegenüberliegende Tür hasten. Den Unterarm
vor die entsetzten Augen geschlagen, weicht der Siegelbewahrer Po von dem
Schlüsselloch zurück, da geht hinter ihm eine Tür auf, und heraus kommen sie,
die beiden Gauner, das Schwein, der Bauer und die Frau des Siegelbewahrers,
gefolgt von einem frommen Tao-shih und einer jungen Dame, die prompt den
treffenden Namen P'o-shen (»Die zu Deflorierende) trägt, beide unbekleidet
und mit weit aufgerissenen Augen. Kunden und Damen verharren im Gang, während
der Siegelbewahrer sich zu Schlüssellöchern hinunterbeugt, Türen auf und zu gehen und Leute hin und her rennen. Allmählich füllt sich
der Korridor von Mutter Hsiens Freudenhaus mit allen wichtigtuerischen,
frömmelnden, selbstgerechten Vertretern der Männlichkeit, die das Kaiserreich
aufzubieten hat, und alle sind sie nackt (abgesehen von ihren Hüten oder
Kappen, an denen man sie erkennen kann) und beteiligen sich am Ende an der Jagd
nach Bauer Hongs Schwein. Ich wollte diese Szene etwas ausführlicher
beschreiben, um eine Vorstellung von dem Lärm zu vermitteln, der uns
entgegenschlug, als wir um die Ecke bogen, und auch noch als Echo zwischen den
Türmen hin- und hergeworfen wurde: Gelächter, gemischt mit höhnischen
Zwischenrufen und Pfiffen. Erst als ich mich fast auf gleicher Höhe mit den
Privatgemächern des Großen Gouverneurs befand, vernahmen wir andere Geräusche,
und selbst dann dauerte es noch eine Weile, bis uns dämmerte, daß die Schreie
kein ausgelassenes Freudengeheul waren. Meister Li umklammerte krampfhaft meine
Schulter, ich hielt mich an einer Balustrade fest und zog mich daran hoch, so
daß wir durch das hohe Fenster in jenen Raum blik-ken konnten, in dem wir Li
die Katze belauscht hatten. Im selben Augenblick kam der Große Gouverneur genau
auf uns zu, aber er sah uns nicht. Seine Augen waren blicklos vor Angst und
Entsetzen, und er schrie sich die Lunge aus dem Leib. Als ich sah, was ihm auf
den Fersen war, schluckte ich schwer.
    Auf der zweiten Abbildung
der Dämonengötter, die der Himmlische Meister uns gezeigt hatte, war Chu-K'uang, »Wahnsinniger Hund, als Hund ohne Kopf zu sehen gewesen,
und jetzt war er da. Der Große Gouverneur machte im letzten Augenblick kehrt
und rannte zur Zimmermitte zurück, und als die gespenstische Bestie ihm
hinterherfolgte, konnte ich sie mir genauer ansehen. Der kräftige, dicke Hals
war mit dichtem Fell bewachsen und endete unvermittelt, gerade so, als wäre das
Wesen ohne Kopf geboren, und doch hörte ich es bellen. Wie konnte es ohne Kopf
bellen? Und im übrigen , wie konnte es beißen, kauen,
reißen und zerfetzen ohne Kopf? Denn als ich weiter in den Raum hineinspähte,
sah ich die Leibwächter des Großen Gouverneurs, die wie von einem Tiger
zerfleischt dalagen. Überall waren Blutlachen, und die meisten der toten Männer
hatten aufgerissene Kehlen. Das Bellen wurde lauter. Plötzlich erkannte ich,
daß das kopflose Wesen den Großen Gouverneur nicht jagte, sondern in die Enge
trieb. Es drängte ihn mit seinem Bellen zu einem langen, dichten Vorhang an einem
der Fenster zurück, und plötzlich teilte sich der Stoff. Ich starrte auf einen
körperlosen, riesigen Hundekopf mit weit aufgerissenem Maul und triefenden,
roten Zähnen. Der Kopf schnellte vor, die Zähne schnappten zu, und der Große
Gouverneur vom Gänsetor verließ den roten Staub der Erde auf höchst
unappetitliche Weise. Es war noch irgend etwas im
Raum. Eine dunkle schemenhafte Gestalt

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