Die Insel der Mandarine
der
Auftritt des Sängers. Als ich diese Marionette sah, kamen mir wirklich die
Tränen. Es war ein so wirklichkeitsgetreuer Bauer, da stimmte alles! Jede
Bewegung, jedes Aufklatschen der Sandale, jedes Kratzen des verlausten Kopfes,
jede grobschlächtige Gebärde war so vollkommen, daß ich einen Augenblick lang
geschworen hätte, wieder in meinem Dorf zu sein, und das Heimweh schlug über
mir zusammen wie eine tonnenschwere Brandung. Der Bauer trug ein Schwein, das
er zum Markt bringen wollte, unter dem Arm, und Fu-mo und Fu-ching waren so
verblüfft über dieses Geschenk der Götter, daß sie wie gelähmt rückwärts
fielen.
In dem unvorstellbar
verwickelten Stück Bauer Hong geht es um die Bemühungen des Landmannes,
sein Schwein von den zwei Halunken zurückzubekommen, und Yen Shih ließ im
Verlauf der Geschichte jede Puppe auftreten, die er besaß. Ich ließ mich gerade
zufrieden zurücksinken, um das Geschehen weiter zu verfolgen, als Meister Li
mich unsanft in die Rippen stieß. »Gehen wir«, sagte er.
Der Große Gouverneur hatte
sich, der Teufel soll ihn holen, von seinem Platz erhoben und seine Leibwächter
um sich versammelt. Jetzt kam er auf uns zu, und mir blieb nichts anderes
übrig, als mich zu bücken, damit Meister Li auf meinen Rücken klettern konnte.
Dann eilte ich um die Ecke der Mauerbrüstung und verlor somit das größte aller
Puppenspiele, dargeboten vom größten aller Puppenspieler, aus den Augen. Das
Leben kann manchmal sehr ungerecht sein.
Der Große Gouverneur eilte
mit seinem Suchtrupp durch Gänge, Säle und Kammern, während wir ihm geräuschlos
über die Balkone an der Außenmauer folgten. Dieser Palast hatte mehr Räume als
ein Ameisennest Schlupflöcher, und es ging nur langsam voran. Wir mußten jedoch
ganz sichergehen, daß wir bei unserer Suche nach dem Käfig ungestört bleiben würden,
und was mich an der ganzen Sache schier wahnsinnig machte, war der Umstand, daß
wir immer wieder Balkone überquerten, die den Blick auf den Wagen im Hof
freigaben. Ich sah Bruchstücke der Handlung, wie zum Beispiel die Szene, in der
Fu-mo und Fu-ching Bauer Hongs preisgekröntes Schwein für einen seltenen,
unvorstellbar kostbaren Diamanten aus dem kalten Norden erstanden (Bauer Hong
aus dem Süden hatte noch nie einen Eiskristall gesehen). Dann mußte ich weiter,
und als ich wieder einen Blick auf die Bühne erhaschen konnte, hatte sich der
Bauerntölpel auf den Heimweg gemacht und gerade beschlossen, seinen Diamanten
hervorzuholen und zu bewundern. »Schweinerein! Die Hurensöhne haben mir in
die Tasche gepißt und sich verdrückt !«
Hier mußte ich wieder den
Standort wechseln, so daß mir die Stelle entging, an der die Gauner den
zurückkehrenden Bauern mit Wein begrüßten, dem sie ein Betäubungsmittel
beigemischt hatten, und sich dann mit seinen Kleidern aus dem Staub machten.
Ich sah den Bauern Hong erst wieder, als er durch ein Fenster in das
Schlafzimmer der Gattin des Siegelbewahrers Po plumpste.
»Hilfe! Ich werde von
einem nackten Wüstling bedrängt !« Der Siegelbewahrer Po stand an einem
anderen Fenster und bewunderte in geziemender neokonfuzianischer Weise den
Mond. »Bist du wohl still, Weib? Der erhabene Mann ist taub gegen sündhafte
Rede und blind gegen ungebührlichen Anblick .« Das
nächste entging wieder meinen Augen und Ohren, da ich einen weiteren Turm
umrunden mußte, dann hatte ich wieder freien Blick auf die Bühne.
»Ich werde von einem
nackten Wüstling bedrängt, der gar nicht so schlecht aussieht !«
»Weib, ich brauche Ruhe!
Die Ohren des erhabenen Mannes sind unbefleckt von anstößiger Rede, so wie
seine Nieren und Leber unberührt sind von Faulheit und Nachlässigkeit,
Falschheit und Lasterhaftigkeit .«
Ich hatte den Großen
Gouverneur aus den Augen verloren, was mich zwang, durch ein Fenster
einzusteigen und auf Zehenspitzen die Korridore entlangzuschleichen, bis ich
ihn wieder gefunden hatte. Dann mußte ich eiligst kehrtmachen und auf einen der
Balkone hinausspringen, bevor seine Männer uns entdeckten. »Ich werde von
einem nackten Wüstling bedrängt, der gar nicht so schlecht aussieht und ein
Gehänge wie ein Pferd zu haben scheint !« »Schweig,
Weib! Der erhabene Mann hört nur die wahren Gesänge, begleitet von Flöte und
Zither, so daß sich die vier Jahreszeiten durch die Herrlichkeit seiner
vollkommenen Tugend in harmonischer Übereinstimmung miteinander drehen und die
rechte Ordnung aller Dinge herstellen .«
An dieser Stelle
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