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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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erklären, warum Teile einer 3000 Jahre
alten Geschichte gerade jetzt zum Vorschein kommen, warum gewisse
Monstergestalten Realität sind und was hier überhaupt passiert .« »Viel Glück«, sagte der Puppenspieler.
    Yen Shih hatte Gefallen
gefunden an dem »höchst interessanten Morgen«, wie er es ausdrückte, und bot
Meister Li weiterhin seine Dienste zu jeder Tages- und Nachtstunde an. Für den
Augenblick entschuldigte er sich jedoch, weil er zu Hause einige Dinge zu
erledigen habe. Das war ausgesprochen taktvoll von ihm. Meister Li würde als
nächstes dem Himmlischen Meister ausführlich Bericht erstatten, und es mochten
dabei Einzelheiten zur Sprache kommen, die nicht für die Ohren des
Puppenspielers bestimmt waren. Darum zog sich Yen Shih höflich zurück, bevor
jemand in Verlegenheit geraten konnte. Meister Li bestand darauf, eine Sänfte
für den Puppenspieler zu mieten, und wir bestiegen eine zweite. Kurze Zeit
später erreichten wir die Verbotene Stadt und begaben uns ohne Umwege zum
Amtssitz des Himmlischen Meisters. Er war nicht anwesend, hatte aber in einer
versiegelten Tasche eine Nachricht für Meister Li hinterlassen. Meister Li nahm
die Tasche mit zur Sänfte und öffnete sie dort, während wir die Verbotene Stadt
durch das Tor des Mittags verließen.
    Kao, ich bin müde,
verblödet und senil. Ich habe einen Mandarin zur Rede gestellt, der über die
Höhle im Kohlenhügel Bescheid wissen mußte. Ich habe ihn dazu gebracht, mir
seinen Käfig zu zeigen und zu erklären, wie die Verbindung funktioniert. Ich
habe ihn benutzt, um ein bißchen herumzubrüllen, aber dann setzte mein Verstand
aus. Mir fiel nichts Besseres ein, als dem Schweinehund das Ding über den
Schädel zu ziehen. Ich muß es dir überlassen, konstruktivere Schritte zu
unternehmen. Einen der Käfige habe ich bei Yang Ch'i aufgespürt. Er bewahrt ihn
in einer Vitrine in seinem Treibhaus auf, und wenn irgend
jemand mit den Wachen fertig werden kann, dann du. Ich lasse es dich
wissen, wenn mein Hirn wieder mehr verdauen kann als vorgekaute Säuglingskost.
Chang.
    »Wie sehe ich aus ?«
    »Mm.. .Meister Li...«
    »Ochse, nicht über mein
Gewand !«
    »Verzeihung«, brachte ich,
von Brechreiz geschüttelt, hervor. Die zivilisierten unter meinen Lesern werden
das berühmte Porträt kennen, das Tusche Wang von Meister Li angefertigt hat,
und ich war dabei, als er es malte. Nachdem er das Gesicht des Weisen von allen
Seiten betrachtet hatte, warf er seine Pinsel in die Ecke, löste sein langes,
glattes Haar, tauchte es in Töpfe mit Tusche und sprühte sie dann, indem er
herumhüpfte und den Kopf von einer Seite zur anderen warf, auf die
Seidenfläche. Das Ergebnis war ein unglaublich kompliziertes Muster miteinander
verschlungener Linien. Darauf zeichnete Tusche Wang die Umrisse eines Kopfes,
schwärzte alles, was außerhalb der runden Fläche lag, malte ein strahlendes
Augenpaar, und schon sah ich Meister Li so lebensecht vor mir, daß ich fast
erwartete, er würde vom Blatt heruntersteigen und nach Wein rufen. Tusche Wang
erklärte, daß er nur auf diese Weise die Landschaft aus Falten, die das Gesicht
von Meister Li prägen, wiedergeben konnte. Ich erwähne das deshalb, weil es dem
Leser vielleicht eine vage Vorstellung davon gibt, welchen Effekt es hatte,
wenn diese Falten mit grünem, phosphoreszierendem Ton ausgefüllt wurden.
(Neokonfuzianer, die nicht mitgekommen sind, werden zum Nachdenken
aufgefordert: unvorstellbar alter Mann, klapperdürr, ein Labyrinth von Falten,
in die Ton gestrichen wird, der im Dunklen glüht.)
    Ich lenkte einen vornehmen, blau verhängten Eselskarren , und über uns
schien ein heller Mond, vor den sich gelegentlich Sandwolken schoben. Der Gelbe
Wind pfiff durch die Plane, und die metallenen Fackelhalter, die die elegante
Promenade auf dem Kohlenhügel säumten, schienen die knirschenden Töne des
Sandes wie ein langgezogenes Lautentremolo von einem zum anderen weiterzureichen.
Als wir am Tor zum Anwesen des Mandarins Yang Ch'i zum Stehen kamen, scharten
sich die Wachposten um uns und verlangten Parolen oder gedruckte
Einladungskarten von uns, worauf sich die seidenen Vorhänge teilten und der
Kopf einer sechs Monate alten Leiche sich Zentimeter für Zentimeter her
vorschob.
    »Guten Abend«, sagte
Meister Li.
    Die Wachen waren im Nu
verschwunden, nur spitze Schreie hallten noch eine Weile durch die Luft.
Gelassen setzten wir unseren Weg zum Haus fort. Im Hof erwartete uns eine
weitere Reihe von Soldaten,

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