Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
Vom Netzwerk:
Als er sich ein wenig lichtete, sah ich, wie
Meister Li nickte. Ich holte den Käfig aus dem Kasten, und Meister Li legte den
Deckel sachte wieder an seinen Platz zurück. »Werfen wir einen Blick darauf«,
sagte er.
    In einer entlegenen Ecke
stand eine Werkbank, über der eine starke Lampe für helleres Licht sorgte als
der Mondschein. Ich spürte ein starkes Kribbeln im Hals und mußte husten, dann
hustete auch der alte Mann. Das Geräusch schien in der Kuppel nachzuhallen,
während wir uns langsam durch die feuchte Schwüle bewegten. Unter der Lampe
untersuchte Meister Li die Oberseite des Käfigs und machte sich Anmerkungen zu
den Symbolen auf den Gitterstangen, Symbole, die die Acht Gelehrten Herren auf
den Reibedruk-ken mit dem Pinsel berührt hatten. Dann drehte er den Käfig um
und betrachtete den Boden. Er wurde sehr still.
    »Ochse«, sagte er nach
langem Schweigen leise, »siehst du das winzige Kreuz, das hier am Rand
eingeritzt ist ?« »Ja, Meister«, erwiderte ich. »Es
stammt von mir .« »Meister?«
    »Ich habe es dort
eingeritzt, Ochse, aus alter Gewohnheit, als Erkennungszeichen auf einem
Beweisstück. Das hier ist derselbe Käfig, den wir auf der Insel gefunden haben
und den uns der Affenmann aus der Hütte gestohlen hat«, erklärte Meister Li.
Ich starrte ihn verständnislos an. Seine Worte ergaben für mich keinen Sinn,
und ich wollte eben zu törichten Fragen ansetzen, als eine Flöte zu spielen
begann. Der Ton war unheimlich in der drückenden, schwülen Stille des
Treibhauses, und ich zuckte zusammen. Augenblicklich hielt Meister Li sein
Wurfmesser in der Hand, während ich , tief hinter
große, üppige Pflanzen geduckt, dem Geräusch nachzugehen begann. Es war eine
seltsame, dissonante Musik mit einem fast achtlosen Rhythmus, wie die monotonen
Klänge, mit denen schamanische Trommler ihre Zuhörer in Trance versetzen, und
es war schwer zu bestimmen, woher sie kam: Einmal glaubte ich, sie zur Rechten
zu vernehmen, dann wieder zur Linken. Ich bewegte mich wie in Zeitlupe, und
während ich mich zwischen den fleischigen Orchideen vorwärts schob, hatte ich
den Eindruck, mich wie die Krabbe meiner Phantasie unter Wasser zwischen Algen
und den schlaffen Gliedmaßen Ertrunkener hin durchzuwinden.
    Mit aufgerissenen Augen
blieb ich stehen, und mein Herz hämmerte, als wollte es zerspringen. Ich hatte
eine Lücke zwischen riesigen Blättern erreicht und starrte auf einen von hellem
Mondlicht beschienenen Fleck. Dort im Mondschein stand ein Hocker, auf dem eine
kleine Gestalt mit überkreuzten Beinen saß. Ein Kind. Ein wunderschönes Kind,
das Flöte spielte. Aber irgend etwas stimmte nicht an
ihm, und ich hörte im Geiste die leise Stimme des Himmlischen Meisters.
    »Die erste Dämonengottheit
ist Fang-liang«, hatte der Heilige gesagt. »Sie sieht aus wie ein
dreijähriges Kind mit roten Augen, langen Ohren und herrlichem Haar, und sie
tötet, indem sie ihr Opfer zwingt, sich selbst zu strangulieren .«
    Ich stellte fest, daß das
Kribbeln in meinem Hals stärker geworden war und versuchte zu husten, brachte
aber nicht mehr heraus als ein krampfhaftes Würgen. Hastig fuhr ich zu Meister
Li herum. Er hatte das Messer fallen gelassen, drehte sich, die Hände an den
Hals gepreßt, torkelnd im Kreis und machte Anstalten, sich zu erwürgen.
    Ich wollte zu ihm eilen,
überlegte es mir dann aber anders und versuchte, das Kind mit der Flöte
anzugreifen, stolperte jedoch über meine eigenen Füße und stürzte. Ich bekam
keine Luft. Das Prik-keln im Hals wurde immer unerträglicher, und ich
umklammerte ihn krampfhaft. Die Welt verschwamm vor meinen Augen, und ich
konnte gerade noch erkennen, wie Meister Li an irgend etwas hochkletterte, das aus den Orchideen aufragte und aussah wie ein kleiner Baum.
Behende wie ein Jüngling schob er sich hinauf, und dann verlor ich ihn aus den
Augen. Ich wälzte mich hilflos auf dem Rücken und umklammerte immer noch meinen
Hals. Die Flötenmusik war verstummt. Etwas hatte sich vor den Mond geschoben.
Das Kind hatte sich über mich gebeugt und blickte auf mich herunter. Ein glückliches
Lächeln spielte in seinem unschuldigen Gesicht. Seine Augen waren tatsächlich
rot, und seine Ohrläppchen reichten fast bis auf die Schultern. Herrliches Haar
schimmerte im Mondlicht, und ein niedliches Zünglein schob sich heraus und
leckte die niedlichen kleinen Lippen. Plötzlich schleuderte eine dunkle Gestalt
das Kind beiseite, daß es in hohem Bogen durch die Luft flog. Hände

Weitere Kostenlose Bücher