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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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wachsam, schneidig und auf Beförderung versessen.
»Entschuldigt bitte. Wir sind gerufen worden, um einen Herrn abzuholen. Wer von
euch ist...«Ich kramte nach einer Liste. Hände schoben einen Sarggriff durch
den blauen Vorhang, gefolgt von Meister Lis Gesicht. »Guten Abend.«
    Als der Hof menschenleer
war, stiegen wir aus und näherten uns dem Haus, wo uns ein Hausdiener beim
Anblick von Meister Lis Amtstracht automatisch Einlaß gewährte und sich dann
umdrehte. Als er die weiße, hölzerne Visitenkarte in Empfang nehmen wollte,
fiel er wie ein Brett nach hinten um und wippte dreimal unter vernehmlichem
Gepolter nach. An jeder Tür und an jeder Treppe tauchten Diener, Wachposten und
andere Lakaien auf. »Hallo allerseits !« rief ich verzweifelt.
»Mein geliebter Ururgroß-vater hat sich irgendeine alberne Krankheit zugezogen,
die die hirnlosen Scharlatane als hoch ansteckend bezeichnen, und wir sind
lediglich auf der Suche nach...« »Guten Abend«, sagte Meister Li.
    Da niemand mehr im Haus zu sein
schien, der uns gebührend begrüßen wollte, setzten wir unseren Weg durch den
Innenhof zu einem zentral gelegenen Turm fort und betraten einen riesigen Raum,
über den sich eine fast ausschließlich aus Fenstern bestehende Kuppel wölbte.
War draußen die Hitze schon schlimm genug gewesen, so war sie hier im Innern
erdrückend. Und die Luft war so feucht wie in den südlichen Regenwäldern.
Meister Li erklärte mir, daß Yang Ch'i ein begeisterter Gärtner war, der sich
auf die Zucht exotischer Tropenblumen spezialisiert hatte. Unter dem Fußboden
befand sich ein großer Behälter mit Wasser, das durch Kohlefeuer ständig auf
dem Siedepunkt gehalten wurde. Durch Tausende von kleinen Löchern stieg der
Dampf auf, und die Feuchtigkeit sammelte sich an der Decke, die mit kleinen
Tropfgeräuschen herunterfielen. Es roch nach Dung und Verwesung, vorherrschend
war jedoch der Duft fleischiger Orchideenpflanzen von gewaltiger Höhe: klebrig
süß und von innen heraus modernd.
    »Yang rühmt sich auch
seiner Kenntnisse primitiver Kunst, und in dieser Hinsicht ist sein Stolz
gerechtfertigt«, bemerkte Meister Li. »Er ist einer der wenigen, der die
künstlerischen Fertigkeiten der Ureinwohner wirklich zu schätzen weiß, und aus
diesem Grund hat der Himmlische Meister auch berichtet, daß er seinen Käfig in
einer Vitrine aufbewahrt. Yang Ch'i könnte einen solchen Schatz unmöglich
verborgen halten; er würde das Juwel seiner Sammlung sein .«
    Die Wege zwischen den
Pflanzungen waren mit Schaukästen gesäumt, die alles nur Erdenkliche, vom
kostbaren, juwelenbesetzten Kamm bis zur Puppe aus billigem Teakholz,
enthielten. Es lehrte mich immerhin, daß Materialien im Mondlicht ihre
Bedeutung verlieren, und wenn die Kunstfertigkeit das Kriterium der Bewertung
war, so war die Puppe das wertvollste Stück. Die Wege liefen in der Mitte des
Raumes zusammen, wo ein einzelner Kasten auf einem runden Platz stand. Hier war
die Luft voller Dampf, der die Umrisse verschwimmen ließ, und alles, was ich
aus den Augenwinkeln sah, schien sich zu heben und zu senken wie auf einem
wogenden Meer. Der Mond stand senkrecht über der Kuppel. Im Gehen stellte ich
fest, daß er, durch verschiedene Glasvierecke betrachtet, Farbe und Form
wechselte: einmal rund und golden wie ein sagenumwobener Pfirsich aus
Samarkand, dann wieder länglich und gelb wie ein Kürbis - so mußte eine Krabbe
den Mond sehen, wenn sie im Wasser über Sand und Algen huschte und nach oben
spähte.
    Das Glas allein mußte
soviel gekostet haben wie das Lösegeld für einen Kronprinzen. Ich hatte noch
nie so viel und von so guter Qualität in einer einzigen Sammlung gesehen.
    Wir fanden die Vitrine in
der Mitte, und da stand er vor uns, ein alter Käfig, genau wie diejenigen, die
wir zuvor gesehen hatten. Meister Li runzelte die Stirn. »Verdammt. Kein
Pinsel«, sagte er, und wahrhaftig, da war kein solcher Pinsel, wie wir ihn auf
dem Reibedruck gesehen hatten. Er glich demjenigen, den wir vor Ma Tuan Lins
Pavillon gefunden hatten, doch diesmal bemerkte ich das Loch in der Mitte,
durch das ein Pinselstiel gepaßt hätte. Ich streckte die Hand danach aus, doch
Meister Li hielt mich zurück. »Vorsicht.«
    Prüfend musterte er den
Boden, den Sockel, die Vitrine und die Decke, und erst als er sicher war, daß
keine erkennbare Falle und keine Alarmvorrichtung vorhanden war ,
hob er mißtrauisch den Glasdeckel. Dampf wirbelte in dicken Schwaden um uns
herum und nahm mir die Sicht.

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