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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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das
seinen kranken Hund auf einem Seidenkissen herausgetragen hatte. Meister Li hob
die Hand und brachte den Leichenzug zum Stehen. »Der Himmlische Meister?«
    »Er ist nicht hier, Herr.
Er ist ausgegangen und ist hiervon noch nicht unterrichtet .«
    Ein unterwürfiger Eunuch
war aus dem Haus getreten, hatte Meister Li entdeckt und schlurfte in dem
Augenblick auf den alten Mann zu, als dieser den Umhang anhob, um einen Blick
auf die
    Leiche zu werfen. Sein
Rücken versperrte mir die Sicht. Ich sah nichts weiter, als daß er sich
straffte und dann den Umhang behutsam wieder zurücklegte. Seine Augen wanderten
zu dem Eunuchen, der hier der verantwortliche Beamte zu sein schien. »Das Blut
ist nicht frisch. Wann ist das passiert ?« erkundigte
sich Meister Li mit ruhiger, unbeteiligter Stimme. Der Eunuch leckte sich
nervös über die Lippen. Eine alte Frau drängte sich zwischen den Soldaten
hindurch, und ich erkannte in ihr die Dienerin wieder, die uns am Vorabend
fortgeschickt hatte. Ihre Augen waren gerötet, und ihre Stimme war belegt. »Sie
ist gestern ermordet worden«, sagte sie. »Wir dachten, sie wäre zu ihrer
Familie nach Hause gegangen und haben ihren Leichnam erst vor ein paar Stunden
entdeckt. Aber die Männer, die sie getötet haben, waren gestern hier. Ich weiß
es. Ich habe sie selbst hereingelassen. Sie zeigten einen Brief vom Himmlischen
Meister .«
    »Adoptivtochter, kannst du
lesen ?« fragte Meister Li freundlich.
    »Nein, Ehrenwerter Meister,
aber der Himmlische Meister zeichnet immer einen kleinen Vogel auf seine
Nachrichten, die hier ins Haus kommen, und ich habe den Vogel gesehen«,
entgegnete die alte Dienerin. »Sie haben die arme kleine Närrin in den Garten
hinausgerufen, aber dann hatte ich alle Hände voll zu tun und habe sie
vergessen. Und erst jetzt haben wir ihre Leiche im Bootshaus unten am See
gefunden .«
    »Würdest du die Männer
wiedererkennen ?« wollte Meister Li wissen.
    »Ja !« erklärte die alte Frau hitzig. »Wie könnte ich sie je vergessen? Ihr Anführer
sah aus wie ein Wildschwein, und die beiden anderen sahen aus wie eine Hyäne
und ein Schakal .« Mir drehte sich der Magen um beim
Gedanken an diese Kreaturen. Wie sie damals, als sie in der Höhle den
Buchhalter umgebracht und später über ihre Zoten gelacht hatten, während ihnen
das Hundefett über die Kinnbacken getropft war. Meister Li hatte, wie wir
wissen, inzwischen kombiniert, daß es einen Spion im Hause des Himmlischen
Meisters geben mußte. War es nicht möglich, daß das Dienstmädchen, das die Alte
als kleine Närrin bezeichnet hatte, den Spitzel entlarvt hatte und daß dies ihr
Lohn dafür war? Meister Li warf dem Eunuchen einen nachdenklichen Blick zu.
    »Das Haus und der Amtssitz
des Himmlischen Meisters unterstehen der kaiserlichen Gerichtsbarkeit. Habt Ihr
die offizielle Befugnis, den Mordfall zu untersuchen ?«
    Plötzlich war der Eunuch
sehr selbstsicher und triefte vor Liebenswürdigkeit. »Diese Ehre wurde mir
Nichtswürdigem tatsächlich zuteil«, sagte er und verbeugte sich dabei bis zum
Boden. Dann zog er ein Schriftstück hervor, das über und über mit kaiserlichen
Siegeln bedeckt war.
    Meister Li überflog das
Dokument und gab es seinem Besitzer zurück. Füchse würden nun den Tod einer
Henne untersuchen, aber was konnte er schon dagegen tun? »Nun gut. Laßt Euch
nicht aufhalten«, bemerkte er kühl. Damit machte er auf dem Absatz kehrt, und
ich folgte ihm hinaus zum Eselswagen.
    »Meister, war es sehr
schlimm ?« erkundigte ich mich, während der Wagen
anfuhr.
    »Der Mord? Man hat sie in
Stücke geschnitten«, entgegnete der Weise schroff.
    »Hundesöhne!«
    »Wenn du Wildschwein, Hyäne
und Schakal meinst, hast du zwar recht, aber sie haben das Mädchen nicht
umgebracht«, sagte Meister Li.
    »Was ?« krächzte ich.
    »Sie haben sie vielleicht
in ihre Gewalt gebracht, und sie haben sie vielleicht festgehalten, aber sie
haben sie nicht getötet. Diese Tiere hätten wie die Schlachter auf sie
eingehackt und eingeschlagen, aber der Mann, der die kleine Närrin tötete, war
ein Meister seines Fachs .«
    »Wollt Ihr damit sagen, daß
wir es auch noch mit einem geistesgestörten Chirurgen zu tun haben ?« erkundigte ich mich mit schwacher Stimme.
    »Ganz und gar nicht«, sagte
der Weise. »Wir haben es mit einem sehr fähigen Zeitgenossen zu tun, dessen
Kunst beim Schlachten ebenso unverwechselbar ist wie seine meisterhafte
Kalligraphie, aber zuallererst statten wir dem Puppenspieler einen

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