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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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diesmal machte Yu Lan nicht halt.
    Die Schamanin nahm mich wieder
bei der Hand und rannte los. Wir liefen durch gewundene Gänge, die von grünem,
phosphoreszierendem Licht erhellt waren, bis wir eine Felsplatte erreichten und
ich plötzlich in eine riesige Höhle hinunterschaute. Mir stockte der Atem, und
ich sprang erschrocken zurück, denn dort wimmelte es von riesigen
zusammengerollten Schlangen. Doch Yu Lan zog mich zu sich und begann, eine
Steintreppe hinunterzusteigen. Dann bemerkte ich, daß das keine Schlangen
waren, sondern miteinander verschlungene Pfeifen irgendwelcher Art, die an
bestimmten Knotenpunkten in immer dünnere übergingen, bis am Ende acht winzige
Pfeifen in acht Kästen mündeten, die in zwei Gruppen angeordnet waren, vier zur
Linken, vier zur Rechten. Yu Lan öffnete den Deckel eines der Kästen. Im Innern
befand sich ein kleines Gestell. Sie blickte zu mir auf und hob die
zweigezackte Gabel an die Lippen. Dann blies sie sanft zwischen den Zinken
hindurch und legte die Gabel dann auf das Gestell. Sie paßte wie angegossen. Yu
Lan schloß den Deckel.
    Nebel umwogte uns. Kühle,
erfrischende Regentropfen prasselten herunter, Regenbogen hüllten uns ein, und
ich streckte die Arme aus, um die Schamanin an mich zu ziehen. Sie lächelte
mich an, ihre Lippen öffneten sich, ihre Lider senkten sich über die Augen. Dann
riß sie die Augen weit auf und rang nach Luft. Während sie in den Nebel
zurückwich, war ihre Stimme voller Schmerz, Verlorenheit und Angst. »Nein!
Bitte nicht!«
    Etwas Furchtbares bedrohte
die Schamanin. Im Nebel war alles nur undeutlich zu erkennen, aber ich sah
raubtierhafte Zähne neben ihrem Kopf aufblitzen und Klauen an ihrer Taille.
Eine große, dicke, glitschige Scheußlichkeit legte sich um ihre Beine. Ich
wollte zu ihr, aber ich schaffte es nicht. Blindlings rannte ich in Dunst
wölken, die so drückend waren wie Hitzeschwaden, und vor meinen Augen war alles
verzerrt und verschwommen. Yu Lans Stimme drang aus weiter Ferne zu mir.
    »Ochse, die Boote! Beide
Boote müssen an dem Rennen teilnehmen! Es darf nicht ein Boot unangefochten an
den Start gehen !« Dann war die Stimme verklungen, die
Schamanin war fort, der Nebel hatte sich verzogen, und ich lag auf einer Matte
im Weinlokal des Einäugigen Wong neben Meister Li. Heller Mondschein strömte
durch das Fenster herein, und der Gelbe Wind knirschte über die Ziegeldächer
von Peking wie eine große Katze, die sich die Krallen schärfte. Ich drehte mich
zur Seite und rüttelte den alten Mann an der Schulter. Er war augenblicklich
wach. »Meister, ich kann es nicht erklären, aber es muß etwas mit Yu Lan
geschehen sein«, sagte ich aufgeregt. »Ich weiß nicht, wo sie ist, aber sie ist
in großer Gefahr, und wenn Ihr keinen anderen Vorschlag habt, würde ich gern so
schnell wie möglich zum Haus ihres Vaters gehen .«
    Er sah mich einen
Augenblick lang an. Dann sprang er behende auf und schickte sich an, auf meinen
Rücken zu klettern. »Warum nicht? Hier kommen wir ohnehin nicht weiter«,
knurrte er. In Yen Shihs Haus war alles dunkel und still, als wir durch das Tor
bogen. Meister Li rutschte von meinem Rücken herunter und versteckte sich, sein
Wurfmesser hinter das Ohr geklemmt, hinter einem Pfeiler, während ich im
Mondschein zur Tür schritt und dagegen hämmerte. Es war nichts weiter zu hören
als ein Echo. »Yen Shih !« rief ich. Wieder antwortete
mir ein Echo. »Yu Lan! Ist jemand zu Haus ?«
    Etwas bewegte sich, und als
ich einen Schritt zurücksprang und nach oben blickte, sah ich eine neugierige
Katze, die von einer Ecke des Dachs auf mich herunteräugte. Plötzlich brach ein
Höllenlärm los; Räder rasselten, Pferdehufe donnerten los wie ein Bambushain,
der in einem Buschfeuer explodiert, und ich mußte zur Seite springen, um nicht
von der schwarzen Kutsche überrollt zu werden, die, von einem Vierergespann
gezogen, in den Hof gerast kam. Zehn Reiter bildeten
die Eskorte, schwarz verhüllt, die Hüte tief in die Stirn gezogen, die
Schwerter im Mondschein glitzernd. An den Seiten und am hinteren Ende des
Wagens hingen weitere Männer, die sich überaus gekonnt mit einer Hand
festhielten und mit der anderen einen kurzen Speer schwangen. In Sekundenschnelle
waren sie gekommen und wieder verschwunden, zum Tor hinaus und die Straße
hinunter. Meister Li streckte ein Bein aus und brachte mich zu Fall, als ich
ihre Verfolgung aufnahm. »Ochse, du kannst sie nicht einholen, und du weißt,
daß du ihnen dorthin,

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