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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Assistent bleibst«, sagte er.
    »Ja, Meister«, entgegnete
ich. Mir war so elend vor Angst um Yu Lan, daß mir alles andere gleichgültig
war, doch ich tat, als wäre ich interessiert. »An welches furchtbare Ende denkt
Ihr dabei ?« fragte ich.
    »Das hängt von Li der Katze
ab«, antwortete er. »Mir ist gerade klargeworden, daß uns nichts anderes
übrigbleibt, als einen Hechtsprung ins kochende Öl zu versuchen. Wir werden
also seine freundliche Einladung annehmen. Sobald die Tore der Verbotenen Stadt
öffnen, werden wir ihm einen Besuch abstatten, und wenn du in den Stunden, die
uns bis dahin bleiben, schlafen kannst, wirst du durch P'u Sung-ling, den
Chronisten Seltsamer Begebenheiten, Unsterblichkeit erlangen .«
    21
    Der Vormittag des
Doppelfünften ist traditionell einer der lebhaftesten Tage des Jahres. Schon
vor Sonnenaufgang wimmelte es in den Straßen von Peking von Menschen, und ich
kannte einige von ihnen.
    Frau Wu aus der Bäckerei
stand vor dem Laden des persischen Alchimisten an, um Arsen, Schwefel und
Zinnober zu kaufen, das zu einer insektenabweisenden Lösung vermischt wurde;
als nächstes würde sie am Stand eines Schreibers haltmachen und eine Schablone
des Schriftzeichens für das Wort König erstehen. Dann würde sie nach
Hause eilen und ihren schlafenden Kindern mit der Schablone und der Lösung das
Zeichen auf die Stirn prägen. Es ähnelt den Linien auf der Stirn des Tigers. Da
selbst Krankheit und Pech vor Tigern die Flucht ergreifen, ist es für Kinder
morgens am fünften Tag des fünften Mondes überaus segensreich. Die alte
P'i-pao-ku, »Lederbeutel-Knochen«, war Frau Wus Großmutter, und sie wartete
beim Konditor, um Nachbildungen der fünf giftigen Insekten (Hundertfüßer,
Skorpion, Eidechse, Kröte und Schlange) aus Zucker zu erstehen, mit denen sie
ihren Wu tu po po-Kuchen zu verzieren gedachte, den sie absichtlich so
ungenießbar wie möglich machte, ohne daß er tatsächlich tödlich wirkte. Jedes
Familienmitglied ißt am fünften Tag des fünften Mondes ein Stück davon, und die
Krankheitsdämonen können es nicht fassen, daß es Menschen gibt, die ein solches
Zeug essen und unbeschadet davonkommen.
    Feng Erh, »Phönix«, die
Konkubine des Kerzenmachers, begab sich mit dem ersten zaghaften Sonnenstrahl
zu einem Grasstück, das sie im Park abgesteckt hatte. Dort pflückte sie hundert
Halme, legte sie in einen Krug und ging auf schnellstem Weg nach Hause, ohne
sich nach rechts, links oder hinten umzusehen. Zu Hause angekommen, würde sie
kochendes Wasser in den Krug gießen und Hundert-Gräser-Saft herstellen, der der
ganzen Familie bis zum nächsten Doppelfünften als Heilmittel dienen würde. Ko
Sheng-erh hatte immer Pech. Sein Name bedeutet »Reste von einem Hund«, und er
war törichterweise vor drei Tagen auf sein Dach gestiegen, um es an einigen
Stellen auszubessern. Nun wartete er darauf, daß ein mittelloser Schamane
seinen Laden öffnete und seinen Kopf mit der Formel »Wachse, wachse, wachse!«
beschwor, was ihm allerdings auch nichts nützen würde, da doch jeder weiß, daß
ein Mann, der im fünften Monat auf dem Dach arbeitet, unweigerlich eine Glatze
bekommt. T'ien-chi, »Ackerhuhn«, war ein Götterjunge, ein männlicher
Prostituierter, der nicht gerade jünger wurde. Er wartete gemeinsam mit seiner
besten Freundin Lan-chu, »Faules Schwein«, eine alternde Kurtisane. Sie hatten
jahrelang gespart, und nun standen sie, in Bettlerlumpen verkleidet und
goldgefüllte Säcke umklammernd, vor der Tür von Szu Kui, »Toter Geist«, einem
geheimnisvollen, dreimal aus dem Grab auferstandenen Magier, der ihnen Stücke
polierten, ausgehöhlten Zedernholzes verkaufen würde, das am fünften Tag des
fünften Mondes mit vierundzwanzig wohltuenden und acht giftigen Ingredienzen
gefüllt wurde. Wenn sie diese Holzstücke dann in einhundert
aufeinanderfolgenden Nächten als Kopfkissen benutzten, würden sich die Falten
in ihren Gesichtern glätten, und nach vier Jahren würden sie wieder im
Vollbesitz ihrer Jugend sein. Die Ingredienzen sind ein streng bewahrtes
Geheimnis, doch Meister Li verriet mir einmal, daß Sennesblätter, Ginseng,
getrockneter Ingwer, Magnolie, Sommerwurz, Engelwurz, Ungefiederte Distel,
Kikiowurzel, chinesischer Pfeffer, Kamelie, die Samen und Wurzeln vom Eisenhut,
Sumpfgras und Korallenbaum dazu gehörten.
    Auf der Kaiserlichen Straße
stand von den Phönix-Türmen bis fast zum Altar der Erde und des Korns eine
dichtgedrängte Menschenmenge, die darauf

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