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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Pest
überlegten, fiel ihnen nichts Besseres ein, als die Grundbuchstaben des Wortes
Ratte an das Schriftzeichen des Wortes Krankheit anzuhängen.
Kindisch, oder?«
    Er betrachtete immer noch
den Gegenstand, den er in den Händen hielt. Es waren die Überreste eines
zylindrischen Pergamentschirms, der in den Ring einer Öllampe paßte. Darauf
waren acht Pferde in verschiedenen Stadien der Bewegung, die Füße jeweils in
einer anderen Stellung, abgebildet. Wenn die Hitze der Flamme den Schirm zum
Drehen brachte, entstand der verblüffende Eindruck von Lebendigkeit.
    »Trabendes Pferd Lampe«,
murmelte Meister Li. »Trabendes... Pferd... Lampe...« Als ihm nichts dazu in
Erinnerung kam, zuckte er die Achseln und warf das Ding auf den Abfallhaufen
zurück. »Teufel noch mal. Ich hatte von Ratten gesprochen, und da wir schon
beim Thema sind, laß uns hören, was über unsere Mandarine in Erfahrung gebracht
worden ist .«
    Was wir erfuhren, war nicht
gut. Alle, die Wongs Männer schon hatten ausfindig machen können, hatten sich
ausnahmslos am unerreichbarsten Ort in ganz Peking verkrochen: in den
Quartieren der Schwarzen Wache. Sie befinden sich innerhalb der Mauern der
Verbotenen Stadt, von dem geheiligten Boden durch eine weitere Innenmauer
getrennt, durch deren Tor die Soldaten dem Kaiser oder den Eunuchen zu Hilfe
eilen können. Von der Kaiserlichen Stadt aus gelangt man durch einen
abschüssigen Tunnel, der unter dem Wassergraben hindurchführt, zu dem Gebäude,
und es gibt kein Fleckchen, das strenger bewacht ist.
    »Li die Katze versammelt
seine Kätzchen um sich«, murmelte Meister Li. »Verflucht! Etwas Großes ist
geplant, und zwar bald, und ich weiß nicht genug, um die richtigen Fragen zu
stellen. Selbst wenn es jemanden gäbe, dem ich Fragen stellen könnte«, knurrte
er. »Nun ja, zwei Mandarine sind noch nicht gefunden, und Wongs Männer sind auf
der Suche. Wir ruhen uns besser ein bißchen aus, Ochse. Es wird eine lange
Nacht werden .«
    Yen Shih war schwarz
gekleidet und trug den geflügelten Hut eines vornehmen Herrn und um die Taille
eine scharlachrote Schärpe. Sein schwarzer Umhang bauschte sich im schneidenden
Gelben Wind, während er würdevoll auf eine rissige, ausgedörrte Landschaft
zuschritt, die flimmernd in der Hitze brannte. »Dieses Puppenspiel erfordert
eine angemessene Kulisse, Ochse«, s.igte Yen Shih mit weicher, wehmütiger
Stimme. »Eine Kulisse für kreischende Phönixe, zitternde Hasen, zahnlose Tiger,
lärmende Maulwurfsgrillen, halbverhungerte Pferde, geifernde Drachen, blinde
Eulen, tranige Kamele und alte, schmerzgepeinigte Schildkröten, die in
Brunnenschächten unendlich langsam vor sich hin sterben.«
    Yen Shih schritt in der
wabernden Hitze voran. Ich bemühte mich, mit ihm Schritt zu halten, aber er
löste sich in Luftspiegelungen auf. Ich blieb wie angewurzelt stehen, als ich
vor mir eine alte Hütte sah, die verlassen in der unfruchtbaren, zerborstenen
Einöde stand. Es war mein Elternhaus, und es war das einzige, was von meinem
Dorf übriggeblieben war. Meine Augen waren tränenblind. Doch es gab noch
irgendwo Leben. Ich hörte etwas und taumelte schweißüberströmt durch die
Trugbilder, die mir die aufsteigende Hitze vorgaukelte, darauf zu. Plötzlich trat
ich durch das Miasma in das klare Licht hinaus, wo sich auf grünem Gras
Gestalten bewegten.
    »Ziege, Ziege, spring
über den Wall,
    Rupf Gras und füttere
deine Mutter;
    Ist sie nicht auf dem
Feld und im Stall,
    Gib es deinen hungrigen
Brüdern:
    Eins... Zwei... Drei...
Vier... Fünf... Sechs... Sieben...
    Acht!«
    Die lachenden Kinder
rannten über den kleinen Hügel davon, und ich wandte mich aufgeregt zu Yu Lan.
Die schöne Schamanin klimperte auf den Gitterstäben eines Käfigs herum. Ein
Licht blitzte auf, und ich schloß mit einem Zucken die Augen. Als ich sie
wieder aufschlug, hob sie ihre Hand zu der zeremoniellen Geste. Ich berührte
meine Augenbrauen und meine Nase, dann öffnete Yu Lan die Hand, in der wieder
eine winzige zweigezackte Gabel lag.
    Beim Näherkommen bemerkte
ich Schweißperlen auf ihrer Stirn, und ich hätte schwören können, daß ein
Ausdruck der Verzweiflung in ihren Augen lag. Yu Lan faßte mich an der Hand und
zog mich eilig zu dem Brunnen hin. Wieder ließ ich uns in dem Eimer hinunter,
wieder hörte ich in der Tiefe ein Knurren, und wieder nahm ich den Gestank von
verwesendem Fleisch wahr. Ich schwenkte zu dem Loch in der Wand hinüber, und
wir gelangten in den engen Tunnel, aber

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