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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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herauskommen, von wo Ihr ausgegangen seid .« Wir bogen links, links, links und wieder links ab und
wären wieder am Ende der Gasse angelangt, wäre da nicht ein winziger, parallel
verlaufender Weg gewesen, der nach rechts hinauf und hinüber führte. Das Wiesel
wohnte im oberen Stockwerk. Als wir jedoch die Gebetszettel sahen, die an seine
Tür geheftet waren, und gleichzeitig den Geruch von Räucherwerk wahrnahmen und
Klagelaute hörten, blieben wir wie angewurzelt stehen. Ich stieß die Tür auf,
und es war offenkundig, daß Meister Li seine Fragen nicht würde stellen können.
Das Wiesel war in sehr schlechter Verfassung und wälzte sich im Fieberwahn auf
seiner Matte, während seine junge Frau sich so gut es ging um ihn bemühte. Sie
war überglücklich beim Anblick von Meister Li.
    »Rettet Ihn, Ehrenwerter
Meister«, flehte sie. »Wenn ihn überhaupt einer retten kann, dann seid Ihr es.
Alle anderen fürchten sich vor Ansteckung und haben das Weite gesucht. Ich weiß
wirklich nicht, was ich tun soll .«
    Meister Li wies mich an,
das Wiesel festzuhalten. Dann untersuchte er die geröteten Augen, die trockene
Zunge, die von einem eigenartigen gelben, pelzigen Belag überzogen war, und
tastete die kleinen Schwellungen ab, die wie Furunkel in den Achselhöhlen und
Leisten des Mannes saßen.
    »Hat er sich über
Kopfschmerzen und Erschöpfung beklagt ?« »Ja,
Ehrenwerter Meister.«
    »Gefolgt von Fieber und
einer heftigen Reaktion auf Helligkeit?«
    »Ja, Ehrenwerter Meister!
Er schrie, das Licht würde ihn verbrennen !«
    Meister Li richtete sich
auf und straffte die Schultern. »Meine Liebe, ich verspreche nichts«, sagte er
freundlich. »Wir müssen hoffen und beten, und dazu brauche ich Speise, Wein,
ein wenig Papiergeld, zwölf rote Fäden und einen
Weißer-Tiger-Todbringen-der-Großer-Donner .«
    Ich wußte, daß es zu Ende
ging mit dem Wiesel. Meister Li nimmt nur dann zur Glaubensheilung Zuflucht,
wenn er den trauernden Angehörigen etwas geben will, womit sie sich
beschäftigen können. Jetzt öffnete er das winzige Fenster, das über das
Dächergewirr Pekings hinausblickte und murmelte: »Eintausend
Weißer-Tiger-Todbringender-Großer-Donner, und das wäre vielleicht immer noch
nicht genug .« »Meister ?« sagte ich.
    »Nicht genug, Ochse. Nicht,
wenn es nach Neid geht .« Dann schüttelte er sich wie
ein Hund, der aus dem Wasser kommt und fügte hinzu: »Teufel, ich phantasiere
vermutlich. Los, tun wir, was in unserer Macht steht .«
    Das hieß, daß wir aus einem
Blatt Papier einen Tiger ausschneiden und daraufschreiben mußten: Das
Einhorn ist hier ! Damit appelliert man an den
günstigen Stern, der verderblichen Einflüssen entgegenwirkt. Dann machte ich am
Arm des Kranken einen Schnitt, aus dem wir genügend Blut auffangen konnten, um
den Tiger rot zu färben. Die Frau des Wiesels hatte die übrigen Dinge
herbeigebracht, und wir knieten zum Gebet nieder, während Meister Li die Arme
über dem Patienten ausbreitete. »Wiesel, indem du an einem jen-hsu-Tag krank geworden bist, stießest du im Norden mit dem
Todbringenden-Göttlichen-mit-Offe-nem-Haar-Der-Im-Himmel-Fliegt zusammen«,
intonierte der alte Mann wie eine Litanei. »Im Süden bist du dem
Ungeziefervogel begegnet, und im Westen hast du die Fünf Gespenster getroffen,
aber der Westen ist es, in dem Gefahr droht, denn dort hast du den Tiger
erzürnt, der das Ende des Herbstes, die Schneide von Metall, das Weiße der
Trauer und das Ende des Großen Mysteriums ist.« Meister Li sprühte Wasser und
Weihrauch über den Kranken, dann hob er Augen und Arme gen Westen.
    »Oh, Göttlicher Weißer
Tiger der Plündernden Dämonen der Fünf Richtungen, der Magier der Krankheit und
des Unterganges des Jahres, des Tores der Wehklagen und des Trauergastes und
der Seelen der Toten, der Himmlischen Gebiete und Irdischen Wälder, der Erde
und des Himmels, der Zweiundsiebzig Hou und der Acht Trigramme, der Neun
Paläste und des Hauptpalast-Donners, oh, Großer Tigerprinz, der in die Häuser
eindringt und gewaltige Blutbäder anrichtet. Oh, Tiger, der am Rande der Straße
und hinter Brunnen auf der Lauer liegt, oh, Tiger, der hinter dem Herd und in
der Diele kauert, oh, Tiger, der neben dem Bett und hinter den Türen einer
jeden Behausung steht, oh, Tiger, der im Schicksal aller Menschen Einzug hält.
Oh, Weißer Tiger, Großer Weißer Tiger, dein demütiger Diener, das Wiesel, hat
dich schwer beleidigt, und wir bringen dir seine Speise! Wir bringen dir

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