Die Insel der roten Mangroven
Augen aufblitzen ließen.
»Nennen Sie es ruhig ›Raub‹, Lady!«, fuhr er sie an. »Aber dann finden Sie auch einen passenden Namen für das, was die Weißen meinem Volk antun! Für den ›Sklavenfang‹ in Afrika, für die Schiffe, in denen sie uns einpferchen wie Vieh, für die Arbeit, die man uns abpresst, ohne Lohn und ohne Hoffnung …!«
Deirdre schoss durch den Kopf, dass dies alles auf ihn, den stolzen Freigeborenen, in keiner Weise zutraf. Warum also erregte er sich so? Sie wollte fragen, aber dann schwieg sie. War sein Volk nicht letztlich auch ihr Volk?
Sie erreichten den Mangrovenwald, durch den Wege zum Strand führten. Rote Mangroven nannte Victor die Bäume, die bis zu dreißig Meter hoch werden konnten. Der Bast unter der Rinde der Stelzwurzeln war rötlich, das gab ihnen angeblich den Namen. Das Wurzelwerk war wirklich beeindruckend, die riesigen Bäume schienen über filigranen, weit verzweigten Stützkonstruktionen aus zum Teil knochenweißem Holz zu schweben. Ob vielleicht Obeah- oder Voodoogötter im Schutz der Mangrovenblätter lebten? Deirdre lächelte und teilte den Gedanken mit Jefe, der sie daraufhin jedoch nur stirnrunzelnd anblickte.
»Ich glaub nicht an Voodoo«, bemerkte er kurz.
Deirdre errötete. »Ich … ich natürlich auch nicht. Ich dachte bloß …« Musste sie ihm jetzt wirklich erklären, dass sie nur einen romantischen Scherz hatte machen wollen?
Dann, während sie noch nach Worten suchte, lichtete sich der Wald. An dem Strand, der die Bucht umgab, standen nur ein paar Palmen. Deirdre vergaß die Geister, verhielt ihr Pferd und atmete tief durch. Wie immer war sie fasziniert von der Schönheit des Meeres und empfand ein bisschen Heimweh nach der Bucht auf Cascarilla Gardens.
Alegría scheute plötzlich, und Deirdre entdeckte das Ruderboot. Es war sorgfältig weit genug an Land gezogen worden, um auch bei höherem Wellengang nicht weggeschwemmt zu werden.
»Ist das Ihres?«, fragte Deirdre.
Jefe nickte. »Ich sollte es höher hinaufziehen und im Wald verstecken«, meinte er. »Aber heute Nacht mochte ich mir die Zeit nicht nehmen.« Er rutschte ungeschickt vom Pferd und wäre dabei fast im Sand gelandet. Dann machte er sich an dem Boot zu schaffen.
»Mit mir ist noch nie jemand gerudert«, bemerkte Deirdre. »Ich war schon auf Schiffen, aber nie in einem Ruderboot.«
Jefe lachte, er wirkte jetzt fast jungenhaft. »Wenn da Ihr Herz dran hängt«, meinte er gelassen und wies auf das Beiboot. »Steigen Sie ein, Mylady. Ich kann’s schnell noch mal zu Wasser lassen.«
Deirdre strahlte, als er das Boot über den Sand zog. Anmutig glitt sie vom Pferd und band Alegría und Roderick rasch an eine der Palmen. »Wirklich? Oh, das ist …«
Sie machte Anstalten, das Boot zu ersteigen, als es auf den Wellen dümpelte. Im letzten Moment erinnerte sie sich dann jedoch an ihre Manieren – und die eines Kavaliers!
»Aber sie müssen mir ins Boot helfen!«, forderte sie, »sonst ist es nicht richtig!«
Geziert hielt sie ihm die Hand hin. Jefe nahm sie stirnrunzelnd an. Deirdre stand schon im Wasser, eigentlich hätte sie das Einsteigen auch ohne seine Hilfe geschafft. Dann genoss er jedoch das Gefühl, ihre Hand zu halten. Sie fühlte sich warm und trocken an und klein und schutzbedürftig. Seine Hand war hart und kräftig, zufassend, vielleicht manchmal derb … Er bemühte sich, die ihre mit Vorsicht zu umfassen.
Deirdre glitt in das kleine Boot, lehnte sich an einen der Sitze und ließ ihre Hand lasziv ins Wasser hängen.
»Ich denke, so muss es aussehen, nicht wahr?« Sie lächelte, legte den Kopf zurück und hielt ihr Gesicht mit geschlossenen Augen in die Sonne. »So … hingeflossen irgendwie …«
»Hingeflossen?« Jefe rieb sich die Stirn. Deirdre verwirrte ihn erneut. »Und wieso muss es so aussehen?«
Deirdre lachte ihr helles Lachen. »Ach, stimmt, Sie haben natürlich niemals englische Gesellschaftsromane gelesen«, neckte sie ihn. »Aber ich denke mir, dass es so ist. Also in England, meine ich. Wenn die adligen Herrschaften ein Picknick veranstalten, an einem See in einem Park. Und die jungen Herren bitten die Damen um eine Bootsfahrt. Dann helfen sie ihnen ins Boot – wobei ich annehme, dass es da einen Anlegesteg gibt, sonst würden sie ja nass.« Sie betrachtete ihre Reitstiefel, die ihre Füße trocken gehalten hatten, die aber sicher nicht der Fußbekleidung englischer Adliger bei einem Picknick entsprachen. »Und dann liegen die Damen so im
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