Die Insel der roten Mangroven
höchstens mal ein geliehenes Eselchen über die staubigen Wege von Grand Cayman gelenkt. Aber so schwierig konnte das Reiten eigentlich nicht sein … Er durfte Deirdre einfach nicht merken lassen, dass er keine Ahnung hatte.
Deirdre bemerkte das natürlich sofort. Schon als Jefe sich nur mühsam in den Sattel zog, weil er nicht wusste, wie man Schwung holte, nachdem man den Fuß in den Steigbügel gesetzt hatte, war ihr klar, dass sie keinen geübten Reiter vor sich hatte. Er machte auch keine Anstalten, ihr in den Damensattelzu helfen, bevor er selbst aufstieg. Die Welt der Pferde und Reiterei war ihm erkennbar fremd. Doch entgegen ihrer sonstigen Art ärgerte sich Deirdre nicht darüber. Roderick war ein braves Pferd, er würde auch einen Anfänger nicht abwerfen. Und sie würde dann eben langsamer reiten, damit er mitkam.
Deirdre lächelte Jefe zu, als er sich bemühte, den Braunen neben sie zu lenken, und verhielt Alegría, damit es ihm leichterfiel. Dann schlug sie den Weg durch den Wald zum Strand ein – die Nachbarschaft sollte sie und ihren »Reitknecht« besser nicht sehen. Gewöhnlich trabten die Maultiere der schwarzen Begleiter mindestens eine Pferdelänge hinter der Herrschaft her.
»Wo kommen Sie eigentlich her?«, fragte sie dann im Plauderton. »Also … wo haben Sie gelebt, bevor Sie Pirat wurden …«
»Ich bin frei geboren«, erklärte Jefe ungehalten, »kein entlaufener Sklave, falls Sie das meinen.«
»Das meinte ich gar nicht.«
Deirdre zögerte. Es war die Wahrheit, eigentlich war es ihr gleichgültig, wo er herkam und was er war. Sie wollte ihn nur in ihrer Nähe haben – und seine Stimme hören. Sie hörte seine Stimme gern, sie war tief und volltönend, man merkte ihr an, dass sie aus einem gewaltigen Brustkorb kam … Deirdres Blick streifte Jefes unter der zu engen Kleidung deutlich sichtbare Muskulatur.
»Ich wollte nur …«
»Von einer Insel«, antwortete er schließlich doch.
Das war nicht sehr erschöpfend, in der Karibik gab es unzählige Inseln, und selbst englische Einwanderer waren streng genommen auf einer Insel geboren.
»Hab da mit meiner Mom gelebt …«, fuhr Jefe fort. Er bemühte sich, Roderick anzutreiben, indem er ihm die Fersen in die Weichen stieß, aber das Pferd schlug nur unwillig mit dem Kopf.
Deirdre beobachtete seine Versuche mit spöttischem Gesichtsausdruck. »Er kann nicht vorwärtsgehen, wenn Sie sich am Zügel festhalten. Lassen Sie die Zügel locker«, bemerkte sie, bevor sie die Unterhaltung wieder aufnahm. »Und warum sind Sie zur See gefahren? Als … als Freibeuter? Fand sich da … fand sich da nichts anderes, nichts …«
Jefe ließ die Zügel locker, und Roderick wurde sofort schneller. Der junge Mann griff hektisch in seine Mähne, um sich festzuhalten, als der Braune antrabte. Zum Glück beruhigte das Pferd sich gleich wieder. Jefe atmete auf.
»Ehrbares?« Er grinste. »Lady, wenn Sie’s wissen wollen: Ich bin auf See, weil’s mir Spaß macht. Und die ehrbaren Jobs … ein Leben lang auf einem trostlosen Eiland, auf dem es nicht mehr gibt als ein paar Schildkröten und Kokospalmen … Jahr um Jahr als Schreiber für den Hafenmeister arbeiten …«
»Sie können …«
Deirdre biss sich auf die Lippen. Jetzt hatte sie ihn wieder beleidigt, aber sie war überrascht. Ein Schwarzer, der schreiben und lesen konnte, war eine Seltenheit. Und ein Job als Schreiber für den Hafenmeister erschien ihr gar nicht so schlecht. Wenn es … wenn es nicht gerade um jemanden ging wie Caesar, den sie sich beim besten Willen nicht dabei vorstellen konnte, wie er Warenmengen und Preise notierte.
Jefe schnaubte. »O doch, Lady, ich kann schreiben … und rechnen. Mit dem, was ich im Hafen verdient hätte, wäre ich nie weggekommen von dieser Insel am Ende der Welt. Insofern … als die Gelegenheit sich bot …« Er grinste selbstgefällig.
»Und Sie haben nie ein schlechtes Gewissen?«, erkundigte sich Deirdre. Sie hoffte, dass es nicht moralisierend klang, aber die Frage ging ihr wirklich im Kopf herum. »Wenn Sie … wenn Sie Leute bestehlen …«
Jefe warf den Kopf hoch. »Wir stehlen nicht, Lady«, stieß er aus. »Wir entern die Schiffe. Wir machen unsere Prise im ehrlichen Kampf …«
»Man könnte es auch ›Raub‹ nennen«, stichelte Deirdre.
Irgendwie gefiel es ihr, ihn zu reizen. Es war interessant zu sehen, wie sich Gefühle wie Wut und Stolz in sein Gesicht schnitten. Jetzt war es flammende Empörung, die seine
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