Die Insel der roten Mangroven
jedoch bald einen Freund und Vertrauten im Haus der Dufresnes, mit dem sie über all ihre Sorgen reden konnte. Es war der Doktor selbst, der sich mit immer größerem Vergnügen um seine nur langsam genesende Patientin kümmerte. Dabei war Victors Freude an dem Mädchen in keinster Weise sexueller Natur. Bonnie war für ihn nicht mehr als ein verletztes Kind. Aber er kam bald dahinter, dass sie einen wachen Verstand besaß und dass sich hinter der spröden Fassade, die sie ihm als männlichem Fremden zeigte, ein offenes, freundliches Wesen verbarg.
Victor ging behutsam mit seiner Patientin um – auch er hatte die Narben an ihrem Körper gesehen und richtig gedeutet. Als das Mädchen wieder bei Bewusstsein war, verzichtete er folglich darauf, Bonnie anzufassen, er überließ selbst den Verbandswechsel Amali. Aber er setzte sich gern an Bonnies Bett, um mit ihr zu sprechen. Und bald schon erzählte sie ihm ihre Geschichte. Natürlich behielt sie einiges für sich, allem voran den Tod ihres Backras. Von ihrem Leben auf dem Schiff berichtete sie jedoch ausführlich, von ihrem Aufstieg zum Kanonier und von den Tricks, die ihr halfen, an Bord als Junge durchzugehen. Und letztendlich redete sie auch über ihre Träume. Irgendwann würde sie es wie Twinkle machen und irgendwo sesshaft werden.
Victor verzog den Mund, als Bonnie die Absicht äußerte, jetzt erst einmal mit ihrem Freund auf die Mermaid zurückzukehren.
»Bonnie, ich weiß ja nicht, was Caesar plant«, kommentierte er vorsichtig. »Der mag die Freibeuterei weiter betreiben wollen. Aber wenn er … wenn du ihm etwas bedeutest, Bonnie, dann würde ich euch raten, lieber an Land zu bleiben. Ein starkerMann wie er mag so ein Leben, wir ihr es geführt habt, noch zehn Jahre mehr oder weniger genießen. Aber du … es ist jetzt schon zu viel für dich. Ich sehe doch, was es mit dir angestellt hat …«
»Es kann doch jeder im Kampf verletzt werden«, wandte Bonnie ein.
Victor rieb sich die Schläfe. »Die meisten Frauen werden gar nicht erst in Kämpfe verwickelt«, sagte er dann. »Nun hätte die Verwundung ebenso einen echten Schiffsjungen oder einen erwachsenen Kanonier treffen können, da will ich ja gar nichts sagen. Und bei den Behandlungsmethoden auf dem Schiff wäre auch der kräftigste Mann mit hoher Wahrscheinlichkeit gestorben. So gesehen hattest du Glück, dass du eurem Schiffszimmermann gar nicht erst in die Hände gefallen bist … Aber sonst: Du bist viel zu mager, Bonnie, du bist erschöpft. Ich sehe doch, wie lange du brauchst, um dich von dem Fieber zu erholen.«
In den drei Wochen, in denen Bonnie bei den Dufresnes lebte, war ihre Wunde zwar verheilt, sie war jedoch immer noch so schwach, dass sie kaum aufstehen konnte. Beim Weg auf den Abtritt musste Amali sie stützen, Bonnie war immer froh, sich danach wieder ins Bett legen zu können.
»Sehr lange hättest du das nicht mehr durchgehalten«, hielt Victor ihr weiter vor. »Und wenn du nur ein Mal zusammenbrichst, und dein Caesar ist nicht gerade in Sicht, um dir zu helfen, dann fliegt die ganze Tarnung auf. Was ist dann, Bonnie? Hast du dir mal überlegt, was dann passiert?«
Bonnie kaute auf ihrer Unterlippe. Sie hatte sich das nie genauer ausgemalt, aber sie glaubte nicht, dass die Männer der Mermaid ihr etwas antun würden, dafür mochten sie ihren Bobbie zu gern. Weiter an Bord dulden würde man sie aber sicher auch nicht. Wahrscheinlich würde Captain Seegall die Mannschaft abstimmen lassen, und man würde sich darauf einigen, sie im nächsten Hafen an Land zu setzen. Und dann …
Sie hoffte, dass Jefe sie nicht allein lassen würde, sicher war das hingegen nicht. Vielleicht überließ er sie auch ihrem Schicksal, sie hätte ja ihr Geld. Oder würde man ihr das wegnehmen?
Bonnie rieb sich die Stirn, diese Gedanken verursachten ihr Kopfschmerzen.
»Die Aussichten wären nicht die besten«, fasste Victor ihre unausgesprochenen Überlegungen zusammen. »Also wäre es besser, das Risiko gar nicht erst einzugehen. Das Klügste wäre, jetzt schon das zu tun, was du auf Dauer sowieso planst. Legt euer Geld zusammen und fangt damit etwas Vernünftiges an, dein Caesar und du!«
Bonnie schaute zweifelnd zu dem Arzt auf. Ob es Dr. Dufresne wirklich für möglich hielt, dass Jefe sich auf so etwas einließ? Hatte er etwas in seinem Blick gesehen oder an seinem Verhalten bemerkt, das ihr entgangen war?
»Caesar wird … wird nicht bleiben wollen«, stellte sie sich und den Arzt
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